Knight 02 - Stuermisches Begehren
konnte, die aus ihren Kutschen in den fackelerhellten Hof traten, genau wie sie es letzte Woche getan hatten, als sie an diesem seltsamen Ort angekommen war.
Die Fackeln in dem eisernen Halter loderten hoch auf in die Nacht; sie sah die Flammen vor ihrem geisterhaften Spiegelbild im Fenster auf und ab tanzen.
Ein paar Stunden waren vergangen, und in der Grotte lief alles wie am Schnürchen. Lucien hielt sich in dem Beobach- tungsstand hinter den Drachenaugen auf und blickte brü- tend auf die Menge hinab. Er war fest entschlossen zu er- fahren, wo Claude Bardou war und was er vorhatte, und da- zu brauchte er den dicken kleinen Amerikaner Rollo Greene.
Die Wachen hatten ihn verständigt, als Greene durchs Tor geritten gekommen war, doch in den vielen unterirdischen Gängen hatte sie seine Spur verloren. Lucien wartete ab; er nahm an, dass sich der geile alte Bock mit irgendeiner be- trunkenen Frau davongeschlichen hatte.
Missbilligend schaute er auf die Orgie hinunter. Nachdem er gerade die erste Nacht mit Alice verbracht hatte, kamen
ihm die anonymen Paarungen in der Grotte bedeutungslos und entwürdigend vor. Er zog es vor, daran zu denken, wie Alice allein und in aller Unschuld in der heißen Quelle ge- badet hatte. Wie sehr er sich wünschte, er könnte bei ihr sein statt hier unten in der Grotte! Aber je eher alles vorü- ber war, desto eher konnte er seine Agententätigkeit aufge- ben und sich ganz und gar ihr widmen. Sie hatte natürlich vollkommen Recht. Seine Arbeit brachte sein Leben fort- laufend in Gefahr, und er würde lieber heute als morgen da- mit aufhören, als zu riskieren, dass die Gefahr sich auch auf sie oder ihre Kinder ausweitete.
Ihm fiel gerade ein, dass er dem Außenministerium ja auch als normaler Diplomat dienen könnte, als Marc und O’Shea in den Raum gestürzt kamen.
„Mylord! Wir haben Rollo Greene gefunden!“
„Wo denn?“
„Er ist tot!“ rief O’Shea. „Er treibt mit dem Gesicht im Fluss!“
Lucien stieß einen Fluch aus. „Wie ist es passiert?“
„Von hinten erstochen“, erwiderte Marc angespannt. „Das Messer steckt noch in der Wunde; es hat einen großen grü- nen Edelstein am Heft – soweit ich weiß, ist das Sophia Voznesenskys Markenzeichen.“
„Verdammt!“ fluchte Lucien. „Sie muss irgendwie durchs Tor geschlüpft sein. Wir müssen sie finden. Sofort. Bardou muss sie geschickt haben, damit sie Rollo daran hindert, mit mir zu reden.“ Er holte tief Luft. „Ich will, dass alle Aus- gänge bewacht werden. Teilt den anderen draußen mit, dass sie wachsam sein sollen. Sie hat ihren Auftrag erledigt und wird nun verschwinden wollen. Seid extrem vorsichtig. Sie ist groß, dunkelhaarig und hat braune Augen. Lasst euch von ihrer Schönheit nicht blenden. Sie schneidet einem die Kehle durch, sobald man ihr den Rücken kehrt.“
„Ja, Sir.“
Sie eilten davon, um seine Befehle auszuführen. Auch Lu- cien verließ den Beobachtungsstand, untersuchte kurz den Schauplatz des Mordes an Rollo Greene und machte sich dann ebenfalls auf die Suche nach Sophia. Der Amerikaner trieb mit dem Gesicht nach unten zwischen zwei vertäuten Gondeln. Das Wasser hatte sich leicht rot verfärbt.
Er befahl den Wachen, Greene vor Morgengrauen im Wald
zu vergraben. Die örtliche Gerichtsbarkeit bereitete ihm weiter keine Sorgen – der Tod eines amerikanischen Ge- heimagenten, ermordet in Kriegszeiten auf feindlichem Ter- ritorium, würde kaum Aufsehen erregen.
Nach aufreibender zwanzigminütiger Suche brachten sein Sicherheitschef, ein vierschrötiger Schotte namens McLeish, und zwei seiner besten Männer die sich heftig wehrende Sophia in den Beobachtungsraum.
„Wir haben sie erwischt, als sie gerade über die Mauer klettern wollte“, knurrte der Schotte, der die Frau kaum bändigen konnte.
Sophia Voznesensky war eine stürmische Schönheit, groß und Aufsehen erregend. In ihren dunklen Augen zeigte sich Furcht. Als Lucien auf sie zukam, verstärkte sie ihre Bestre- bungen, sich loszureißen, so dass die drei Wachen sie mit vereinten Kräften festhalten mussten.
Lucien baute sich vor ihr auf, packte sie an der herrlich weißen Kehle und drängte sie gegen die Wand. Er lachte, als er ihre russischen Flüche hörte.
„Sophia, Sophia, dein Benehmen ist einfach haarsträu- bend. Kommst einfach in mein Haus und bringst meine Gäs- te um. Das schickt sich doch nicht für eine Dame!“
„Lass mich in Ruhe!“
„Hat dein cher ami Bardou die Nerven verloren? Hat er dich
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