Knochen-Mond
dein zweites Ich die Gestalt des Alptraums an. Das können möglicherweise schreckliche Monstren sein.«
»Sofern wir selbst nicht träumen, ist mir das ziemlich egal, mein Freund. Ich will nur endlich vorankommen.«
»Dann nehme ich dich mit.«
Er öffnete das Fenster, winkte mir zu. Ich wußte, was kam, denn ich hatte es mehr als einmal beim Eisernen Engel erlebt. Ich klammerte mich an ihm fest, duckte mich mit ihm zusammen, um durch die Fensterluke zu gelangen, dann stieß Zebuion sich ab und zerrte mich mit. Wir fielen hinein in die dunkle Welt — und erreichten den Boden nicht, denn mein neuer Begleiter bewegte seine Flügel, in denen genügend Kraft steckte, um uns beide zu tragen.
Und so schwebten wir über die Dächer des Dorfes hinweg, dem Ziel entgegen, das noch immer bleich und kreisrund in der Bläue des Nachthimmels stand.
Mit einer Reise auf dem Rücken des Eisernen Engels war diese hier nicht zu vergleichcen. Wir überwanden keine Dimensionsgrenzen, sondern eine normale Distanz und näherten uns dem schwarzen Felsen, der klotzig und dennoch irgendwo schlank wirkend unter dem bleichen Schein des Knochenmonds lag.
Die dort schlafenden und träumenden Menschen waren für mich nicht auszumachen. Durch ihre zumeist dunkle Kleidung verschmolzen sie mit den Schatten des Felsens.
Kurz bevor wir ihn erreichten, zog Zebuion in die Höhe. Jetzt stand der Knochenmond direkt über uns, so daß wir beide seine Strahlung intensiv mitbekamen.
Auch ich merkte sie, spürte aber gleichzeitig, daß sie von meinem Kreuz abgeleitet wurde. Sie konnte nicht in mein Inneres dringen und von ihm Besitz ergreifen.
Zebuion war diesen geringen Umweg nicht grundlos geflogen. Er hatte feststellen wollen, wie ich auf die Nähe reagierte.
»Es ist alles okay!« rief ich, darauf hoffend, daß er mich trotz des Helms verstand.
»Ja, ich weiß.« Wir sanken. Auch ich senkte den Blick und konnte den Felsen jetzt direkt anschauen.
Aus der Distanz hatte er ausgesehen wie ein glattgeschliffenes Gebilde. Das traf nicht zu. Im bleichen Mondschein wirkte er hell genug, um seine Maserung erkennen zu können. Seine Formationen, die Spalten und Einschnitte, die sogar eine gewisse Ähnlichkeit mit kleinen Höhlen besaßen, gerade so groß, damit auch Menschen darin ihren Platz fanden, die dann in den bettenhaften Mulden lagen und schliefen. Ich sah die Männer, Frauen und Kinder bewegungslos unter mir liegen. Sie hätten ebensogut auch Tote sein können, die jemand zur Bestattung dort hindrapiert hatte.
Der Schattenkrieger änderte seine Flugrichtung und steuerte eine kleine Landzunge rechts von dem Ort an. Zebuion senkte sich langsam nieder. Als ich stand, hatte ich weiche Knie bekommen, was sich allerdings ertragen ließ.
Zebuion schob sein Sichtvisier hoch und schaute mich an. »Dieser Felsen ist gefüllt mit der Traumenergie der Menschen. Wir befinden uns bereits in ihrer Traumwelt, nur eben in einer anderen Sphäre, die wir verlassen müssen, um in die für uns nicht sichtbare hineinzustoßen. Hast du gesehen, wie sie da liegen und träumen?«
»Darauf kannst du dich verlassen.«
»Jeder träumt etwas anderes, aber alle Träume vereinigen sich irgendwo, damit sie diese unheimliche Welt bilden können.«
»Sollen wir sie zerstören?«
Für Zebuion war es nicht einfach, mir darauf eine Antwort zu geben. »Ich weiß nicht, was passiert.«
»Es könnten wahrscheinliche seelische Schäden bei den Menschen zurückbleiben, fürchte ich.«
»Möglicherweise.«
»Dann werde ich versuchen, einen anderen Weg zu finden. Aber zunächst möchte ich hinein. Ich will Sukos Traum finden.«
Zebuion wand sich wie ein Aal. »Das wird nicht einfach sein, John, verstehst du? Wir haben uns leider von ihm zu weit entfernt. Seinen Traumkanal findest du nicht hier. Du mußt schon viel Glück haben, um ihn treffen zu können.«
»Hättest du mir das nicht vor unserem Flug sagen können?«
»Die Traumenergie der drei im Haus liegenden Personen war einfach zu schwach, um in sie eindringen zu können. Hier, John, konzentrieren sich die Träume. Der schwarze Felsen, gefüllt mit der Energie des Knochenmonds, ist das Zentrum in dieser Welt, ein Bahnhof für die Reise in die andere Dimension. Genügt dir das?«
»Es muß mir genügen.«
»Dann komm mit.«
»Wohin?«
»Wir müssen uns an eine Stelle begeben, die sehr stark mit der Magie des Knochenmondes gefüllt ist. Nur dort können wir direkt an unser Ziel gelangen. Keine Sorge, es ist nicht
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