Knochen-Mond
wollte ich nach draußen schauen.
Die hohe Decke zeigte mir, daß ich mich in keiner Hütte oder Kammer befand. Höchstwahrscheinlich in einem bürg-oder schloßähnlichen Gebäude.
Auf dem Weg zum Fenster geriet ich zwangsläufig in die Nähe des Spiegels, wo ich auch besser sehen konnte, da von draußen her fahlgraues Licht durch das Fenster hereinkam.
Mehr zufällig warf ich einen Blick in den Spiegel. Es traf mich wie ein Hammerschlag. Die Person, die ich dort sah, war nicht ich und trotzdem ich.
Es war derjenige, der in mir wiedergeboren war: Hector de Valois!
***
Suko blieb flach auf der Mauerkante liegen und umklammerte seine einzige Waffe fester. Die Szenerie war einfach unglaublich, und er wußte nicht, ob Tom Evans dort unten so stark gewachsen war oder sich die Gestalten der Träumer verkleinert hatten.
Er jedenfalls war ein Zeuge, doch er kam sich in diesen Augenblicken so hilflos vor.
Suko konnte nichts tun, die Übermacht im Burghof war einfach zu groß. Der Riese ächzte und stöhnte. Es waren die gleichen Geräusche, die Suko auch aus dem Zimmer gehört hatte, wo sein Körper und der des Tom Evans wie im Koma lagen, nur klangen sie hier wesentlich verstärkt, als stünde eine alte Maschine unter Dampf.
Der Inspektor drückte sich weiter vor, bis sein Kinn den harten Mauerrand berührte.
Er suchte nach einem Abstieg, denn springen konnte er auf keinen Fall. Da hätte er sich alles gebrochen, einschließlich des Genicks. Sosehr er auch schaute, der Stein war glatt, schimmerte seifig, und die Sprossen waren nicht zu sehen.
Suko wollte es einfach nicht wahrhaben. Wer einmal von außen her auf die Mauer geklettert war, mußte an der anderen Seite wieder nach unten kommen. Es sei denn, er besaß Flügel und konnte fliegen. Die hatte Suko nicht, springen wollte er ebenfalls nicht, zurück auch nicht — was blieb ihm also?
Er machte aus der Not eine Tugend und robbte auf dem Mauerrand entlang. Seine Waffe hatte er sich dabei in den Hosengurt geschoben. Man kann nicht immer Pech haben. Auch Suko erging es so. Das Pech wechselte mit dem Glück ab, denn wenig später schon entdeckt er innerhalb der Mauer eine Vertiefung, mehr eine viereckige Mulde, in der zusammengerollt etwas Glänzendes lag.
Es war eine dickgliedrige Kette.
Für einen Moment huschte ein Lächeln über das Gesicht des Inspektors, dessen Haut durch das Licht einen graublauen und fahl glänzenden Schimmer bekommen hatte.
Dieses kam ihm wie gerufen. Noch immer auf dem Bauch liegend holte er einen Teil der Kette hervor und maß sie ab, als er sie waagerecht neben sich liegen hatte.
Er rechnete aus, in wie vielen Runden sie sich zusammendrehte und multiplizierte.
Suko konnte nur schätzen. Er hoffte, daß die Kette bis fast zum Boden reichte.
An ihrem Ende war sie durch einen Haken im Mauerwerk befestigt. Eine handgroße Eisenöse, die durchaus etwas vertragen konnte. Suko prüfte noch einmal die Verankerung, war mit sich und der Kette zufrieden. Dann machte er sich an den Abstieg.
Daß er mehr als schwierig sein würde, war ihm klar. Er mußte sich an der Kette festhalten und nach unten schwingen lassen. Hand über Hand konnte er sich nicht nach unten hangeln.
Er würde in Schwingungen geraten und höchstwahrscheinlich auch gegen die Mauer prallen.
Alles Dinge, die nicht eben leicht zu bewältigen waren. Aber es gab keinen anderen Weg.
Suko wickelte die Kette noch um beide Handgelenke. Mit den Händen selbst hatte er hart zugegriffen.
Auf die Kante stellen, sich fallen lassen, einfach in die Tiefe springen, wie bei einem Fallschirmsprung.
Dem Inspektor stand der Schweiß auf der Stirn. Auch sein zweites Ich reagierte so wie das erste.
Es gab kein Zurück. Unter ihm ächzte, keuchte und jammerte der Riese namens Tom Evans. Die anderen waren abgelenkt, sie schauten nicht in die Höhe, und Suko wagte den Versuch.
Für einen Moment blieb er noch auf der Mauerkante stehen, dann ließ er sich nach hinten fallen.
Suko raste ins Leere!
***
Er kam wie ein Schatten!
Blitzschnell, mit einer Geschwindigkeit, die kaum meßbar war. In dieser Welt der Träume fühlte er sich zu Hause. Hier war sein eigentliches Reich, hier konnte er seine gesamte Kraft ausspielen, da war er nicht der morgens stets so müde Barry F. Bracht, sondern Zebuion, der Schattenkrieger.
Aus dem grauen Himmel stieß er hervor, die Arme gestreckt, die Flügel in ständiger Bewegung, und er raste über eine Welt hinweg, die schaurig genug war.
Unter ihm wellte
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