Knochen-Mond
ich.«
»Ja.«
»Kannst du mir erklären, was geschieht?«
»Was geschehen ist, John. Der Tiefschlaf teilt sie. Ihr zweites Ich ist jetzt stärker als das erste. Es hat ihren Körper verlassen und befindet sich in einer anderen Welt. So und nicht anders mußt du denken.« Er verließ seinen Platz und blieb direkt neben dem Bett stehen, wo er sich mit Tom Evans beschäftigte.
Auch ich schaute ihn mir an und ließ den Lampenstrahl über seine Gestalt fließen.
Tom gehörte nicht gerade zu den schlanksten Menschen. Er besaß einen kompakten Körper und fiel damit auf.
Dazu trug auch der dichte Vollbart bei.
»Beide sind nicht tot«, murmelte Dennis mit dumpf klingender Stimme.
»Beide schlafen…«
Ich beobachtete den Jungen genau, denn mir war die Veränderung in seiner Stimme aufgefallen. Dennis machte mir einen sehr abwesenden und müden Eindruck.
»Es ist stark, John, ich spüre es im Kopf. Ich… ich kann nicht dagegen an.«
»Bitte, was hast du?«
»Ich… ich kann nicht mehr, wirklich nicht. Ich… ich stehe auf verlorenem Posten. Ich muß… der Knochenmond, die Strahlen und…« Er brach zusammen, noch bevor ich zu ihm eilen und ihn auffangen konnte. Mit einem dumpfen Geräusch landete er auf dem Boden.
Natürlich hatte ich Angst um ihn, untersuchte den Jungen und stellte fest, daß er nur schlief. Hatte sich sein zweites Ich bereits von seinem ersten gelöst?
Fragen konnte ich ihn nicht, dafür beobachten. Möglicherweise war an seiner Reaktion während des Schlafs zu erkennen, unter welch druckvollen Träumen er litt.
Dennis besaß blonde Haare und eine sowieso schon ziemlich blasse Haut. In seinem neuen Zustand hatte diese auch die restliche Farbe verloren. Eine Leiche konnte nicht bleicher aussehen. Auch er hielt während des Schlafs die feuchten Lippen offen, die sich leicht bewegten, ohne daß er jedoch ein Wort hervorbrachte.
Plötzlich durchrann ein Zucken seinen Körper. Es sah aus, als hätte der Liegende einen Schlag erhalten. Die Lider der geschlossenen Augen zuckten ebenfalls, sogar die Fingerspitzen bewegten sich, bis zu dem nicht erwarteten Krampf.
Er hatte ihn gepackt, er ließ ihn so leicht nicht mehr los. Dennis stöhnte tief auf.
Dann erschlaffte er.
Wie eine Puppe lag er vor mir. Ich war mir bewußt, daß ich als Zeuge die Trennung der beiden Ichs miterlebt hatte. Nur war es mir nicht gelungen, das zweite Ich zu sehen.
Sollte ich das Kreuz einsetzen? Nein, das Risiko erschien mir einfach als zu hoch. Ich konnte es nicht tun, denn der Zeitpunkt, an dem ich das zweite Ich des Jungen aus der anderen Dimension zurückholte, mußte genau getimt werden.
Suko lag im Koma, Evans ebenfalls, jetzt auch noch Dennis. Nur mich hatte es nicht erwischt.
Froh war ich darüber nicht. Ich fühlte mich eher wie jemand, dem man die Beine weggezogen hatte, um ihn im luftverdünnten Raum schweben zu lassen.
Mit ziemlich weichen Knien ging ich durch den Raum, suchte nahezu verbissen nach einer Chance, ohne sie allerdings zu finden. Ich hätte das Haus verlassen und zu dem schwarzen Felsen gehen können, um von dort aus direkt anzugreifen.
Aber wen sollte ich attackieren? Es gab für mich keinen sichtbaren Gegner. Hinein in den Knochenmond springen, um das Skelett zu zerstören, konnte ich auch nicht.
Und doch lag bei ihm die Lösung.
Ich war an das Fenster getreten, schaute hinaus und hatte den Kopf dabei so gedreht, daß ich den Knochenmond erkennen konnte. Wie ein schauriger Lampion hing er in der Dunkelheit des Nachthimmels. Er beherrschte alles, er war der große Meister, der mit der Psyche der Menschen eiskalt spielte.
Nichts rührte sich draußen. Neben den Menschen war auch die übrige Welt in einen tiefen, unnatürlichen Schlaf gefallen. Unter dem Knochenmond sah das Schwarz des Felsens aus, als wäre es mit einer dunklen Farbe überpinselt worden.
Für mich war dieser Felsen dort so etwas wie ein Zentrum, in dem es unhörbar und auch unsichtbar brodelte. Um ihn allerdings zu zerstören, war Kraft allein nicht gefragt.
Ich ging wieder zurück. Meine Tritte hallten durch die Stille. Das Haus wirkte auf mich wie ein Gefängnis ohne Gitter. Was passierte, wenn ich mein Kreuz ablegte? Würden die Strahlen mich dann ebenso erwischen und mein zweites Ich entführen, wie es bei den anderen Menschen der Fall gewesen war? Der Gedanke, es einfach zu versuchen, reizte mich schon, doch ich widerstand der Lockung, sie erschien mir zu gefährlich. Etwas huschte außerhalb des Hauses und in
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