Knochen-Mond
dir?« fragte ich.
»Bei allen, John. Es gibt keine Unterschiede. Wir sind alle gleich. Männer, Frauen und Kinder.«
Ich fuhr durch mein Haar, schaute Glenda an, die nur die Schultern anhob. Eine Antwort konnte ich von ihr nicht erwarten. Log Dennis?
Spielte er mir hier etwas vor?
Ich sah in sein Gesicht. Dort zeigte sich kein verräterisches Zucken an, daß er sich den Bericht etwa aus den Fingern gesaugt hätte. Es mußte schon einiges dahinterstecken.
»Und das passiert nur, wenn der Mond scheint?«
»Eigentlich ja.«
»Was meinst du damit?«
»Nun, ich muß dir sagen, was ich von T.E. weiß. Er ist der Meinung, daß die Strahlen des Knochenmonds bereits in uns stecken und man unsere Gerippe auch so sehen kann.«
»Ich sehe deine Knochen nicht.« Meine Bemerkung war etwas scherzhaft gemeint, kam aber nicht so an, denn Dennis erwiderte nichts. Dafür machte Glenda einen Vorschlag.
»John, ich sehe dir an, daß du skeptisch bist, aber wäre es nicht an der Zeit, nach einem Beweis zu suchen?«
»Schon, nur wie?«
Sie deutete auf meine Brust. »Wie wäre es mit deinem Kreuz?«
»Ja, ja.« Ich winkte ab. Klar, sie hatte recht. Es mußte wohl an der Hitze liegen, daß ich nicht selbst darauf gekommen war. Ich schaute Dennis an und fragte ihn: »Hast du etwas dagegen, wenn ich dich mit meinem Kreuz berühre?«
»Nein, John, warum auch?«
»Dann komm bitte her.«
Er stand auf, und ich kam noch einmal auf die Träume zu sprechen.
»Was haben denn die Träume mit dem Knochenmond zu tun, Junge?«
»Jeder träumt schlimm, wenn der Mond am Himmel steht. Das ist richtig grausam.«
»Auch du?«
»Ich mache keine Ausnahme.«
»Was hast du denn geträumt?«
»Ich war in einem Schloß und habe dort viele Menschen getötet. Wir haben sie dann in Höhlen geworfen, wo welche waren, die diese Menschen aufaßen. Wie Kannibalen.«
Ich mußte schlucken, als ich die Antwort vernahm, und Glendas Gesicht wurde bleich. Nun streifte ich die Silberkettc über den Kopf und dachte dabei an die Trennung der beiden Ichs, die ich mittlerweile ja erlebt hatte. Das erste Ich, der Körper, blieb auf der Schlafstätte zurück. Das zweite ging auf Wanderschaft. Es löste sich von dem ersten und stieß hinein in andere Welten und Dimensionen, wo es sich in furchtbare Gestalten und Monstren verwandeln konnte, die oftmals mit einem Menschen nichts mehr zu tun hatten.
So war es auch bei Mason Rafferty gewesen. In der anderen Dimension war er ein grauer Reiter auf einem grauen Pferd gewesen und hatte sich in einem schwarzen Berg aufgehalten.
Das Kreuz pendelte mittlerweile vordem Gesicht des Jungen, der seinen Blick nicht von meinem weißmagischen Talismann abwenden konnte.
»Es ist so schön«, flüsterte er.
Ich nickte. »Ja, mein Lieber, es ist einfach wunderbar.«
»Gehört es dir?«
»Sicher. Ich habe es bekommen, man hat es mir überlassen, und es ist sehr alt.«
»Älter als tausend Jahre?«
»Viel älter.«
Dennis staunte. Er agierte jetzt seinem Alter entsprechend. Zuvor war er mir einfach zu erwachsen gewesen. Daß er mein Kreuz so anhimmelte, bewies mir auch, daß er ein normaler Mensch war und kein Dämon. Trotzdem wollte ich den endgültigen Beweis und näherte das Kreuz seiner Stirn unter dem hellblonden Haar.
»Ich lege es dir jetzt auf, Dennis.«
»Ja, tu das, John.«
Es kam zu der Berührung. Dennis zuckte für einen Moment zusammen. Glenda war aufgestanden und um den Schreibtisch herumgegangen, weil sie so besser schauen konnte.
Unbeweglich wie eine Statue stand Dennis vor mir, das Kreuz noch immer an der Stirn.
»Jetzt passiert es, John!« flüsterte er. »Ich spüre es genau, es kommt über mich.«
Er hatte recht, denn es kam etwas über ihn. Er hatte vorhin von der durchscheinenden Haut gesprochen.
Die trat auch bei ihm auf. Sie verlor an Farbe, wurde sogar dünner, und ich hörte Glendas entsetzt klingendes Flüstern.
»Mein Gott, John, da sind ja seine Knochen…«
***
Das Kreuz hatte so reagiert wie Röntgenstrahlen. Seine Magie holte tatsächlich die Struktur der Knochen hervor, und Dennis sah aus, als würde ein Skelett vor uns stehen.
Ich spürte einen Schauder, während der Junge sich nicht rührte und mich nur anschaute.
Glenda hatte ihren ersten Schock überwunden. Sie trat mit lautlosen Schritten an uns heran, schaute genau hin und schüttelte den Kopf.
»Das ist doch nicht möglich«, wisperte sie.
»Du siehst es.«
»Und wie…«
»Keine Ahnung, Glenda, keine Ahnung.« Ich
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