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Knochen zu Asche

Knochen zu Asche

Titel: Knochen zu Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathy Reichs
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Sondern wegen der reinen Dekadenz dieser leichtfertigen Verschwendung. An diesem Tag nicht. Und seitdem nie mehr. Schon merkwürdig, wie gewisse Dinge einen beeinflussen.
    Kevins Tod veränderte bei mir mehr als nur meine Meinung zu Sandwiches. Er änderte das ganze Fundament, auf dem sich bisher mein Leben abgespielt hatte. Die Augen meiner Mutter, die immer freundlich und oft fröhlich geblickt hatten, sahen nie mehr so aus, wie sie sollten. Mit dunklen Ringen und tief in den Höhlen. Mein kindliches Gehirn konnte ihren Ausdruck nicht interpretieren, ich spürte nur Traurigkeit. Jahre später sah ich das Foto einer Frau aus dem Kosovo, wie sie zwischen zwei schnell zusammengezimmerten Särgen mit ihrem Ehemann und ihrem Sohn stand. Irgendetwas kam mir daran vertraut vor. Konnte ich sie kennen? Unmöglich. Dann die Erkenntnis. Ich
sah dasselbe Zerstörtsein und dieselbe Hoffnungslosigkeit, die ich in Mamas Blick gesehen hatte.
    Aber nicht nur Mamas Aussehen veränderte sich. Sie und Daddy genehmigten sich nun keinen Cocktail vor dem Abendessen mehr, und sie blieben auch nicht beim Kaffee am Tisch sitzen und redeten. Sie schauten auch nicht mehr gemeinsam fern, wenn das Geschirr abgeräumt war und Harry und ich in unseren Pyjamas steckten. Sie hatten die Comedyshows immer sehr genossen, hatten einander angesehen, wenn Lucy oder Gomer etwas Albernes taten. Daddy hatte dann immer Mamas Hand genommen, und sie hatten beide gelacht.
    Alles Lachen floh, als die Leukämie Kevin besiegte.
    Auch mein Vater suchte sein Heil in der Flucht. In stillem Selbstmitleid wie Mama letztendlich auch. Michael Terrence Brennan, Anwalt, Connaisseur und unbezähmbarer Bonvivant, zog sich auf direktem Weg zurück in eine Flasche guten, irischen Whiskeys. In viele Flaschen, um genau zu sein.
    Anfangs fiel mir die häufige Abwesenheit meines Vaters gar nicht auf.Wie ein Schmerz, der sich so allmählich aufbaut, dass sein Ursprung nicht bestimmbar ist, fiel mir eines Tages auf, dass Daddy nicht mehr so oft bei uns war. Immer öfter gab es Abendessen ohne ihn. Er kam abends immer später nach Hause, bis er in meinem Leben nicht viel mehr war als ein Phantom. In einigen Nächten hörte ich schwankende Schritte auf der Treppe, eine Tür, die fest gegen eine Wand geschlagen wurde. Die Toilettenspülung. Dann Stille. Oder gedämpfte Stimmen aus dem Schlafzimmer meiner Eltern, deren Tonfall mir Vorwürfe und Groll vermittelte.
    Bis heute jagt mir ein Telefon, das nach Mitternacht klingelt, einen Schauer über den Rücken. Vielleicht bin ich eine Panikmacherin. Oder einfach nur Realistin. Meiner Erfahrung nach bringen nächtliche Anrufe nie gute Nachrichten. Es hat einen Unfall gegeben. Eine Verhaftung. Einen Kampf.
    Mamas Anruf kam lange achtzehn Monate nach Kevins Tod.
Damals klingelten Telefone noch anständig. Keine polyfonen Songfetzen von Grillz oder Sukie in the Graveyard . Ich wachte beim ersten vollklingenden Ton auf. Hörte einen zweiten. Das Bruchstück eines dritten. Dann ein leises Geräusch, halb Schreien, halb Stöhnen, dann das Klappern eines Hörers gegen Holz. Verängstigt zog ich mir die Decke bis zu den Augen hoch. Niemand kam zu mir ans Bett.
    Es habe einen Unfall gegeben, sagte Mama am nächsten Tag. Daddys Auto war von der Straße abgedrängt worden. Über den Polizeibericht oder den Blutalkoholpegel von 2,7 Promille verlor sie nie ein Wort. Diese Details schnappte ich so nebenbei auf. Lauschen ist für eine Achtjährige ein Instinkt.
    An Daddys Beerdigung erinnere ich mich noch weniger als an Kevins. Ein Bronzesarg, bedeckt mit weißen Blumen. Endlose Lobreden. Gedämpftes Schluchzen. Mama, gestützt von zwei der Tanten. Psychotisch grünes Friedhofsgras.
    Diesmal kamen Mamas Verwandte in noch größerer Zahl. Daessees. Lees. Cousins und Cousinen, an deren Namen ich mich nicht erinnere. Noch mehr heimliches Mithören enthüllte Brocken ihres Plans. Mama müsse mit ihren Kindern nach Hause zurückkommen.
    Der Sommer nach Daddys Tod war einer der heißesten in der Geschichte von Illinois, mit Temperaturen, die wochenlang nicht unter dreißig Grad sanken. Der Wetterbericht sprach zwar immer von der kühlenden Wirkung des Lake Michigan, aber wir waren weit vom Wasser entfernt, abgeschnitten von zu vielen Gebäuden und zu viel Beton. Wir hatten keine Seebrise. In Beverly schalteten wir Ventilatoren ein, rissen Fenster auf – und schwitzten. Harry und ich schliefen in Feldbetten auf der überdachten Veranda.
    Den ganzen Juni und bis

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