Island. Ryan.
Plötzlich war ich wieder wach. Ich schaute auf die Uhr. Zwei Uhr vierzig. Ich schloss die Augen. Schaute wieder auf die Uhr. Drei Uhr zehn. Drei Uhr fünfzig.
Um vier gab ich es auf. Ich warf die Decke zurück, ging in die Küche und kochte mir eine Tasse Jasmintee. Dann fuhr ich meinen Laptop hoch und recherchierte Sheldrake Island.
Dämmerung sickerte durch die Jalousien, als ich mich schließlich zurücklehnte. Verblüfft. Entsetzt.
Zwei Sachen wusste ich jetzt sicher.
Sheldrake Island war tatsächlich L’Île-aux-Becs-Scies.
Hippos Mädchen hatte einen entsetzlichen Tod durchlitten.
26
Ich nehme an, dass der Schlafmangel mein Denkvermögen beeinträchtigte.
Vielleicht war es Petes frühmorgendlicher Anruf wegen Scheidungsgründen. Und Papierkram. Und die Unfähigkeit der jungen Summer, einen Caterer zu finden.
Oder vielleicht Hippos Schocker.
Rückblickend betrachtet ist da immer dieses innerliche Zusammenzucken. Der Verdacht, dass ich Besseres hätte leisten können.
Nachdem ich mit Pete gesprochen hatte, weckte ich Harry und erzählte ihr, was ich im Internet herausgefunden hatte. Dann entschuldigte ich mich, weil ich sie schon wieder allein ließ.
Könnte sein, dass wir jetzt wieder ganz am Anfang sind, sagte sie.
Ja, stimmte ich ihr zu.
Harry ging einkaufen. Ich fuhr ins Institut.
Für das Skelett brauchte ich nur eine Stunde. Die Diagnose lag jetzt wirklich auf der Hand.Wie hatte ich bei diesen Veränderungen nur so vernagelt sein können?
Es ist das Grauen eines anderen Ortes, einer anderen Zeit, sagte ich mir. Nicht das Amerika des zwanzigsten Jahrhunderts.
Stimmt. Trotzdem eine lahme Ausrede.
Als ich mit den Knochen fertig war, loggte ich mich ins Internet ein, weil ich möglichst viel Munition für meine bevorstehende Unterhaltung mit Hippo wollte. Ich schloss eben den Browser, als ein Ping mir sagte, dass ich eine E-Mail erhalten hatte.
Eine Behörde an einem Wochenende kontaktieren zu wollen, ist so, als würde man den Papst am Ostermorgen anrufen.
Da ich neugierig war, wer mir an einem Wochenende eine Mail schickte, klickte ich den Eingangskorb an.
Den Absender kannte ich nicht:
[email protected].
Als ich die Nachricht öffnete, stachen mir eisig-heiße Stacheln in die Brust.
Temperance:
Staring your severed head in the face
Death. Fate. Mutilation.
Mein abgetrennter Kopf? Tod? Schicksal? Verstümmelung?
Unter dem Text war ein Foto angefügt.
Donnerstagabend. Harry und ich vor Milo’s Eingangsbeleuchtung.
Ich starrte das Foto an, und mir stockte der Atem. Es war nicht nur der Schock, mich selbst zu sehen. Oder die Vorstellung, dass ich von einem Fremden beobachtet worden war. Irgendetwas stimmte nicht. Ganz und gar nicht.
Dann sah ich es.
Harrys Kopf war auf meinem Körper, ihrer auf meinem.
Mein Blick wanderte zu der kursiven Zeile in der Nachricht. Poesie? Eine Liedzeile?
Ich startete eine Internetsuche mit den Begriffen Death, Fate, Mutilation. Jeder Link wies mich in dieselbe Richtung.
Death war eine Heavy-Metal-Band, die dreiundachtzig gegründet wurde und sich achtundneunzig wieder auflöste. Ihr Gründer, Chuck Schuldiner, wurde allgemein als Vater des Death-Metal-Genres betrachtet. Das Album Fate dieser Gruppe kam zweiundneunzig heraus. Ein Song darauf hieß Mutilation.
Als ich mir den Text auf den Bildschirm holte, raste mein Puls. Die Zeile aus der E-Mail stand dort. Und der Refrain. Immer und immer wieder.
You must die in pain.
Mutilation.
Mein Gott. Wo war Harry?
Ich rief ihr Handy an. Sie antwortete nicht. Ich hinterließ eine Nachricht. Ruf mich an.
Wer war dieser Widerling,
[email protected]?
Dieselbe spontane Reaktion wie bei dem Telefonanruf.
Cheech?
Dieselbe Liste von Fragen.
Macho-Anmache? Drohung? Warum?
Und dann wurde ich wütend.
Ich atmete einmal tief durch und wählte Fernand Colberts Nummer. Er meldete sich.
»Sie arbeiten am Samstag?«, fragte ich.
»Hab eine Telefonüberwachung laufen.«
Ich wusste, dass ich nicht nachfragen durfte. »Ich hoffe, meine Anfrage kommt ihnen da nicht in die Quere.«
»Mais non. Außerdem brauche ich die Barbecue-Sauce.«
»Hatten Sie Glück mit der Rückverfolgung?«
»Ja und nein.«
»Erzählen Sie.«
»Da muss ich zuerst was erklären. Telefongesellschaften können jeden Anruf zurückverfolgen, der in ein Festnetz reingeht oder aus einem kommt, mit der möglichen Ausnahme von sehr lokalen Anrufen, die über denselben Schaltknoten laufen. Dasselbe trifft auch auf Handys