Knochen zu Asche
auf die Insel zurückgebracht. Danach wurden den Exilanten sogar noch strengere Restriktionen auferlegt. Alle Kranken wurden in einem einzigen Gebäude eingesperrt, drum herum wurden Sperrzäune
errichtet, und die Zeiten für frische Luft und Bewegung waren begrenzt. Ein bewaffneter Wachmann wurde eingestellt, um die neuen Bestimmungen durchzusetzen.«
In meinem Kopf blitzte ein Bild auf. Kinder mit verzerrten Gesichtern und in Lumpen gewickelten Fingern. Hustend. Nach ihren Müttern schreiend. Ich verdrängte es wieder.
»Was ist mit den anderen, den Überlebenden, passiert?«
»Ich bin mir noch nicht sicher, was mit ihnen passiert ist. Das muss ich erst noch recherchieren.«
»Was hat das mit Gastons Skelett zu tun?«
»Das Mädchen hatte Lepra.«
Ich hörte Klappern. Ich stellte mir vor, dass Hippo den Hörer von der einen Hand in die andere nahm und dabei über die Schlussfolgerungen nachdachte, die sich aus meiner Feststellung ergaben.
»Wollen Sie damit sagen, dass dieses Mädchen vor einhundertundsechzig Jahren starb?«
»Sieht so aus.«
»Damit ist diese Sache also abgeschlossen.«
»Ich kenne eine Archäologin in der Fakultät der UNB in Fredericton. Sobald die Überreste offiziell freigegeben sind, kann ich sie ja mal anrufen.«
Irgendetwas knallte, im Hintergrund rief eine Stimme.
»Moment mal.«
Die Verbindung klang plötzlich gedämpft, offensichtlich drückte Hippo sich den Hörer an die Brust. Als er sich wieder meldete, klang er sehr aufgeregt.
»Sind Sie noch dran?«
»Ja.«
»Das werden Sie jetzt nicht glauben.«
27
»Jemand hat unseren Lieblingsfotografen ausgeknipst.«
»Cormier?«
»Die Leiche wurde heute Morgen hinter einem Lagerhaus in der Nähe des Marché Atwater entdeckt. Zwei Kugeln im Hinterkopf. Ryan hat den Fundort eben verlassen. Er sagt, Cormier wurde woanders umgebracht und dann dort abgelegt. Tatzeit scheint irgendwann nach Mitternacht zu sein.«
»O Gott. Ist er da?«
»Ja. Moment mal.«
Ich hörte Klappern, und dann meldete sich Ryan.
»Ganz neue Wendung«, sagte ich.
»Ja.«
»In der ganzen Aufregung über die Exhumierung von Anne Girardin habe ich vergessen, dir zu erzählen, dass Dr. Suskind sich gemeldet hat.«
»Aha.« Ich merkte, dass Ryan mir kaum zuhörte.
»Suskind ist die Meeresbiologin an der McGill. Ihre Ergebnisse in Bezug auf den Lac-des-Deux-Montagnes-Fall sind kompliziert.«
»Fass sie kurz zusammen.«
»Sie hat Diatomeen auf der Knochenoberfläche gefunden, aber nicht in der Markhöhle.«
»Das heißt?«
»Entweder war das Mädchen schon tot, als sie in den Fluss kam. Sie ertrank woanders in behandeltem Wasser, sie ertrank vor April, sie hyperventilierte und starb schnell, oder Suskind ist bei der Probenaufbereitung ein Fehler unterlaufen.«
»Klasse.«
»Suskind hat allerdings etwas herausgefunden, das uns weiterhelfen könnte. Die Diatomeen-Zusammensetzung auf der Socke passt am besten zu einer Referenzprobe, die in einem
Naturreservat auf L’Île-Bizard an der Unterseite eines Bootsanlegestegs genommen wurde, der nicht weit von der Stelle entfernt liegt, wo die Leiche aus dem Wasser gezogen wurde.«
»Sag das noch mal.«
Ich tat es.
»Könnte die Stelle sein, wo das Opfer ins Wasser kam«, sagte Ryan.
»Oder eine Stelle, wo die Leiche eine Weile festhing. Schon was Neues in Bezug auf die Identifikation?«
»Ich habe eine innerbehördliche Umfrage über vermisste weiß-indianische oder weiß-asiatische Teenager gestartet. Bis jetzt noch nichts Neues.«
»Schon Erfolg bei der Suche nach Adelaide Girardin?«
»Ich verfolge einige Spuren. Aber im Augenblick steht Cormier im Mittelpunkt. Der Fall ging an mich, weil er ja mit Phoebe Quincys Verschwinden zu tun hatte.«
»Hast du’s Phoebes Eltern schon gesagt?«
»Nein. Auf diese Unterhaltung freue ich mich schon sehr. Cormier war ja alles, was wir hatten. Aber die gute Nachricht ist, dass der Mord an ihm uns mit dem Flash Drive freie Hand lässt. Der ganze Blödsinn mit Gerichtsbeschlüssen und so weiter ist jetzt Geschichte.«
Ich setzte zum Sprechen an, hielt inne. Ryan reagierte auf mein Zögern.
»Was ist?«
»Du hast doch jetzt schon alle Hände voll zu tun.«
»Erzähl.«
»Ist ja vielleicht nichts dran.«
»Lass mich das entscheiden.«
»Ich habe es Hippo schon gesagt, aber ich dachte mir, du willst es vielleicht auch wissen.«
»Hast du vor, noch irgendwann heute zur Sache zu kommen? «
Ich berichtete ihm von dem anonymen Anruf im Institut
und von der
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