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Knochenarbeit: 2. Fall mit Tempe Brennan

Knochenarbeit: 2. Fall mit Tempe Brennan

Titel: Knochenarbeit: 2. Fall mit Tempe Brennan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathy Reichs
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die Jahreszeit zu warm, würden die Wetterfrösche sagen. Die Luft war schwer vom Geruch frisch gemähten Grases und des bevorstehenden Donners, und ich stellte mir vor, wie das Gewitter von den Smokies herunter und über das Piedmont Plateau trieb.
    Am Selwyn Pub hielt ich an, um mir etwas zum Essen mitzunehmen. Die Leute, die auf einen Drink nach Feierabend vorbeigeschaut hatten, gingen eben wieder, und die Jüngeren aus dem Queens College waren noch nicht da. Sarge, der verschmitzte irische Mitbesitzer, saß auf seinem gewohnten Hocker in der Ecke und servierte Ansichten zu Sport und Politik, während Neal, der Barmann, mit einem Dutzend Faßbiersorten aufwartete. Sarge wollte über die Todesstrafe diskutieren, oder genauer, wollte sagen, was er über die Todesstrafe dachte, doch ich war nicht in Stimmung dafür. Ich nahm meinen Cheeseburger und ging schnell wieder.
    Die ersten Tropfen sprenkelten die Magnolien, als ich den Schlüssel in die Tür des Annex steckte. Nichts begrüßte mich außer einem leisen, regelmäßigen Ticken.
    Es war fast zehn, als Ryan sich meldete.
    Sylvia Cannon wohnte seit zwei Jahren nicht mehr unter der Adresse, die in der Vermißtenanzeige angegeben war. Auch unter der Nachsendeadresse, die dem Postamt vorlag, war sie nicht zu finden.
    Die Nachbarn der 92er Adresse erinnerten sich an keinen Ehemann und nur an eine einzige Tochter. Sie beschrieben Sylvia als still und zurückhaltend. Eine Einzelgängerin. Niemand wußte, wo sie gearbeitet hatte oder wohin sie gegangen war. Eine Frau meinte, es gebe noch irgendwo in der Gegend einen Bruder. Die Polizei von Calgary versuchte, sie aufzuspüren.
    Später im Bett, in der Mansarde, hörte ich den Regen auf Dach und Blätter plätschern. Donner grollte, und Blitze ließen die Silhouette von Sharon Hall hervortreten. Der Deckenventilator saugte kühlen Dunst ins Zimmer, und mit ihm kam der Geruch von Petunien und nassen Fliegengittern.
    Ich liebe Gewitter. Ich liebe die Urgewalt dieses Schauspiels: Hydraulik! Hochspannung! Trommelwirbel! Mutter Natur regiert, und jeder fügt sich ihren Launen.
    Ich genoß die Show, solange ich konnte, stand dann auf und ging zum Fenster. Der Vorhang war feucht, und auf dem Fensterbrett hatten sich bereits Pfützen gebildet. Ich zog den linken Flügel zu und verriegelte ihn, griff dann nach dem rechten und atmete tief ein. Das Gewitter löste eine Flut von Erinnerungen an die Jugend aus. Sommernächte. Leuchtkäfer. Mit Harry auf Großmutters Veranda schlafen.
    Denk daran, sagte ich mir. Hör auf diese Erinnerung, nicht auf die Stimmen der Toten, die in deinem Kopf lärmen.
    Ein Blitz zuckte über den Himmel, und mir stockte der Atem. Bewegte sich da etwas unter der Hecke?
    Wieder blitzte es.
    Ich starrte nach unten, aber die Sträucher sahen still und leer aus.
    Hatte ich es mir nur eingebildet?
    Ich suchte die Dunkelheit ab. Grüner Rasen, grüne Hecken. Farblose Pfade. Blasse Petunien über der Schwärze von Kiefernspänen und Efeu.
    Nichts rührte sich.
    Wieder blitzte die Welt auf, ein lautes Krachen zerriß die Nacht.
    Eine weiße Gestalt stürzte aus der Hecke und rannte über den Rasen. Ich strengte die Augen an, aber was sich bewegt hatte, war schon wieder verschwunden.
    Mein Herz hämmerte so heftig, daß ich es im Schädel spürte. Ich riß das Fenster wieder auf, lehnte mich gegen das Fliegengitter und suchte die Dunkelheit ab, in der das Ding verschwunden war. Wasser durchtränkte mein Nachthemd, ich bekam eine Gänsehaut.
    Zitternd starrte ich in den Garten.
    Nichts rührte sich.
    Ohne das Fenster wieder zu schließen, drehte ich mich um und rannte die Treppe hinunter. Ich wollte eben die Hintertür aufreißen, als das Telefon klingelte. Ich erschrak so sehr, daß mir das Herz in der Kehle hämmerte.
    O Gott. Was jetzt?
    Ich griff nach dem Hörer.
    »Tempe, es tut mir leid.«
    Ich sah auf die Uhr.
    Ein Uhr vierzig.
    Warum rief meine Nachbarin an?
    »… anscheinend ist er reingekommen, als ich am Mittwoch die Wohnung hergezeigt habe. Sie ist leer, wissen Sie. Ich war jetzt gerade drüben, um alles zu kontrollieren, wegen dem Gewitter und so, und da ist er rausgerannt gekommen. Ich habe ihn gerufen, aber er ist auf und davon. Ich habe mir gedacht, ich sollte es Ihnen vielleicht sagen…«
    Ich ließ den Hörer fallen, riß die Küchentür auf und rannte nach draußen.
    »He, Bird«, rief ich. »Komm her, mein Junge.«
    Ich trat ins Freie. Binnen Sekunden waren meine Haare klatschnaß, und mein

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