Knochenbett: Kay Scarpettas 20. Fall (German Edition)
offenbar Hintergedanken. Vielleicht hat es ja auch mit dem Pseudoephedrin in ihrem Allergiemedikament zu tun, das wirkt nämlich aufputschend.
»Aber Sie kennen ihn schon Ihr halbes Leben lang, richtig, Kay?«
Ich trete aufs Pedal des Abfalleimers aus Metall. Es befindet sich nur ein leerer Müllbeutel darin. Also öffne ich das Unterschränkchen der Spüle und hole eine angebrochene Schachtel Müllbeutel heraus, die ich auf die Ablage stelle.
»Vielleicht hat jemand den Müll rausgebracht«, bemerke ich. »Und dieser Jemand muss nicht sie selbst gewesen sein. Möglicherweise eine Person, die hier im Haus sonst noch einiges verändert hat.«
»Er ist ziemlich aufbrausend und hat eine Entziehungskur hinter sich. Außerdem hat er in den letzten Monaten wieder zu trinken begonnen.« Offenbar bin ich das Einzige, was Burke hier in diesem Raum interessiert. Sie steht, die Arme vor der Brust verschränkt, neben der Tür.
»Das hier sollte auf Fingerabdrücke und DNA untersucht werden. Wenn Sie es nicht sicherstellen wollen, erledige ich das.« Ich hole eine Papiertüte aus meinem Koffer und verstaue das Beweisstück darin.
»Er trinkt wieder und hat etwa um dieselbe Zeit begonnen, mit Peggy Stanton zu twittern.«
»Am Labor Day war sie bereits tot.« Als Nächstes fische ich den leeren Müllbeutel aus dem Abfall. »Sie lebte da schon längst nicht mehr.«
»Wann haben Sie bemerkt, dass Marino wieder trinkt?«
»Ich weiß nicht, ob das wirklich so ist oder seit wann.«
»Und sie war am Labor Day bereits tot? Sind Sie da absolut sicher?«
Ich bestätige das.
»Und wie sind Sie zu dieser Schlussfolgerung gelangt, die für Sie offenbar feststeht wie das Evangelium? Ich finde es einfach nur verwirrend.« Wieder tippt sie auf ihrem Telefon herum. »Mir erscheint es offen gestanden ebenso subjektiv, als würden drei Blinde einen Elefanten beschreiben.«
»Der Todeszeitpunkt lässt sich anhand verschiedener Faktoren bestimmen. Es ist ziemlich kompliziert.« Ich werde ihr die Genugtuung nicht gönnen, mich vor ihr zu rechtfertigen.
»Erklären Sie mir, was Sie so sicher macht, dass die Frau schon seit dem Frühjahr tot ist. Und zwar auf der Grundlage anderer Informationen als der Erscheinungsdaten irgendwelcher Zeitschriften, dem Verwelkungsgrad der Blumen, der durchgebrannten Glühbirnen oder dem verwilderten Garten.«
Als ich den Gasherd einschalte, funktionieren alle Kochstellen.
»Die fehlenden Beschädigungen durch Insekten, der Schimmel an Gesicht und Hals, der Zerfall der Organe und die Körpertemperatur weisen allesamt darauf hin, dass sie in einem geschlossenen Raum aufbewahrt wurde, wo die Luft sehr kalt und trocken war«, wiederhole ich. »Möglicherweise wurde sie eingefroren.«
»Laut der Artikel, die ich gelesen habe, kann eine vollständige Mumifizierung bereits nach zwei Wochen eintreten. Also ist es eigentlich nur ein Ratespiel, wie lange die Frau schon tot ist.«
»Falsch.«
»Sie behaupten, es seien Monate. Jemand anders könnte von Wochen sprechen.«
Als ich die Tür zur Speisekammer öffne, entdecke ich nichts Verderbliches. Die üblichen Konserven, alle salzfrei, Vollkornflocken, Reis und Nudeln.
»Herumsurfen im Internet genügt nicht, um sich Fachkompetenz anzueignen.« Damit will ich ihr mitteilen, dass jemand momentan offenbar genau das tut und ihr die Rechercheergebnisse mailt.
»Ich bin sicher, dass ich Fachleute mit der gleichen Ausbildung wie Sie auftreiben könnte, deren Meinung sich stark von Ihrer unterscheidet.« Anscheinend habe ich sie verärgert.
»Davon bin ich überzeugt.« Ich spüre ihren Blick auf meinem Rücken. »Was allerdings nicht heißt, dass diese Leute recht hätten.«
Allem Anschein nach hat Peggy Stanton sich hauptsächlich von Salat ernährt. Auf einem Regalbrett stehen Dutzende von Flaschen mit fettfreiem italienischem Dressing, ein Sonderangebot aus dem Bio-Supermarkt. Ich schließe die Speisekammertür.
Diese Frau war vorsichtig und hat gut auf sich und ihre Katze geachtet. Sie war sparsam. Die Welt, die ihr geblieben war, hatte sie fest im Griff.
»Zwei Wochen«, gehe ich auf Burkes Bemerkung von vorhin ein. »Es soll Fälle gegeben haben, in denen die Mumifizierung in zwei Wochen eingetreten ist? Wirklich sehr interessant.«
»So kann man es nachlesen.« Sie ist auf offenem Konfrontationskurs. Soll sie doch.
Wenn sie mir weiter das oberflächliche Zeug aus ihrem Maileingang um die Ohren haut, erleichtert sie mir die Sache nur.
»Und wo soll das
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