Knochenbett: Kay Scarpettas 20. Fall (German Edition)
nicht mehr mein Follower, und das schon seit Wochen. Und ich will nicht drüber reden«, antwortet er, während wir abwärtsfahren.
»Wer ist ist nicht mehr dein Follower?«, wundere ich mich.
»Die Fotze, mit der ich getwittert habe, und mehr sage ich dazu nicht. Glaubst du übrigens wirklich, dass niemand im Bereitschaftsdienst schläft? Wenn das Telefon geläutet hat, bin ich jedes Mal rangegangen und habe mich um die Sache gekümmert. Der einzige Einsatz, zu dem man ausrücken musste, war ein Typ, der die Treppe runtergefallen ist. Toby hat das erledigt, ein klarer Unfall. Danach habe ich ihn heimgeschickt. Es bringt doch nichts, wenn wir beide hier rumsitzen. Außerdem nervt er mich. Wenn man ihn braucht, ist er nicht aufzufinden, oder er hockt einem ständig auf der Pelle.«
»Ich versuche doch nur zu verstehen, was hier los ist. Mehr nicht. Ich möchte, dass es dir gutgeht.«
»Warum sollte das nicht so sein?« Er starrt geradeaus auf die glatte, schimmernde Stahlwand und das beleuchtete LL auf der Digitalanzeige. »Es ist auch schon früher passiert, dass etwas schiefgelaufen ist.«
Ich habe keine Ahnung, wovon er redet. Allerdings ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, um ihn über eine Frau auszufragen, die er im Internet kennengelernt hat. Zumindest vermute ich, dass er darauf anspielt. Doch ich muss mit ihm darüber reden, dass er sich womöglich unprofessionell verhält und vertrauliche Informationen preisgibt.
»Wenn wir schon einmal beim Thema sind, würde mich interessieren, warum du überhaupt twitterst und weshalb Lucy dich angeblich dazu ermutigt hat«, meine ich zu ihm. »Ich möchte nicht in deinem Privatleben herumstochern, Marino, aber ich bin keine Anhängerin von sozialen Netzwerken, wenn es nicht um Nachrichtenmeldungen geht, was das Einzige ist, was ich bei Twitter verfolge. Schließlich wollen wir das, was wir hier tun, nicht an die große Glocke hängen, Einzelheiten herumposaunen und massenweise Freundschaften pflegen.«
»Ich bin nicht unter meinem eigenen Namen bei Twitter und verrate nichts, was Rückschlüsse auf mich zulässt. Anders gesagt, es gibt mich dort nicht. Nur den Benutzernamen Dude …«
»Dude?«
»Wie die Figur in
The Big Lebowski,
die von Jeff Bridges gespielt wird. Das ist der Avatar, den ich benutze. Also weiß kein Mensch, womit ich meine Brötchen verdiene, solange er keine Suchanfrage nach Peter Rocco Marino startet, und warum sollte das jemand tun? Wenigstens verwende ich keinen Nullachtfünfzehn-Avatar wie du, was ich wirklich dämlich finde.«
»Also stellst du dich bei Twitter mit dem Foto eines Filmstars vor, der in einem Film über Bowling mitgespielt hat …«
»Immerhin der beste Bowling-Film, der je gedreht wurde«, rechtfertigt er sich, während der Aufzug anhält und die Türen sich öffnen.
Marino wartet weder auf mich noch fügt er etwas hinzu, sondern steigt, einen Tatortkoffer in jeder Hand, aus, die Baseballkappe tief über den gebräunten kahlen Schädel gezogen und die Augen hinter der Ray-Ban verborgen. Inzwischen kenne ich ihn seit über zwanzig Jahren und merke ihm deshalb sofort an, wenn er gekränkt oder eingeschnappt ist. Nur dass ich keine Ahnung habe, was ich ihm diesmal angetan haben könnte. Abgesehen von meinem Versuch, ein bestimmtes Thema zu erörtern. Allerdings schien er bereits ziemlich außer sich zu sein, als er vorhin in mein Büro marschiert ist. Irgendetwas ist da im Busch. Und ich frage mich, was ich, verdammt noch mal, jetzt wieder angestellt habe. Was nur?
Die ganze letzte Woche war er auf der Tagung in Florida, weshalb ich während seiner Abwesenheit nichts verbrochen haben kann. Davor waren Benton und ich in Österreich, und ich überlege, ob das der wahre Grund für Marinos Missfallen sein könnte. Ja, aber natürlich, verdammt. Benton und ich haben meinen Stellvertreter Luke Zenner nach Wien zur Beerdigung seiner Tante begleitet. Im ersten Moment seufze ich innerlich auf, im nächsten bin ich nur noch verärgert. Schon wieder derselbe alte Mist. Marino und seine Eifersucht. Und Benton ist auch nicht besser. Die Männer in meinem Leben bringen mich noch ins Grab.
Ich bin vorsichtig, was ich zu Marino sage, weil andere Leute dabei sind. Spurensicherungsexperten, Verwaltungsmitarbeiter und Ermittler strömen vom Parkplatz hinter dem Gebäude herein und den breiten fensterlosen Flur entlang. Marino und ich wechseln kaum ein Wort, als wir den Schaltkasten für die Telefonanlage, die verschlossenen
Weitere Kostenlose Bücher