Knochenbett: Kay Scarpettas 20. Fall (German Edition)
Metalltüren in den Maschinenraum und das zahntechnische Labor passieren. Im runden Gebäude des CFC läuft alles reibungslos im Kreis, was mir manchmal noch zu schaffen macht, vor allem, wenn ich jemandem den Weg beschreiben will. Es gibt kein erstes oder letztes Büro rechts oder links und auch nichts in der Mitte.
Wir kommen am Autopsiesaal und der Radiologie vorbei. Die Gummisohlen unserer Schuhe geben ein gedämpftes Quietschen von sich. Schließlich erreichen wir die Anlieferungszone mit ihren Wänden aus Edelstahlgefrierschränken für die Annahme und Ausgabe und die für verwesende Leichen. Oben an den schweren Türen sind Digitalanzeigen angebracht. Ich begrüße zwar die Mitarbeiter, denen wir begegnen, bleibe aber nicht auf einen Plausch stehen. Dann teile ich dem Wachmann, einem pensionierten Militärpolizisten, mit, dass bald ein vermutlich heikler Fall hereinkommt.
»Es scheinen ungewöhnliche Umstände im Spiel zu sein«, erkläre ich Ron, der kräftig gebaut und dunkelhäutig ist und, hinter seiner Glasscheibe thronend, nie einen sonderlich lebhaften Eindruck macht. »Nur damit Sie aufpassen, falls sich Reporter oder sonstige Leute blicken lassen. Könnte sein, dass hier später die Hölle los ist.«
»Ja, Ma’am, Chief«, erwidert er.
»Sobald wir wissen, was Sie erwartet, geben wir Ihnen Bescheid«, füge ich hinzu.
»Ja, Ma’am, Chief, das wäre gut«, antwortet er. Ich bin für ihn immer »Ma’am, Chief«, und ich glaube, dass er mich mag, auch wenn man es ihm nicht anmerkt.
Ich werfe einen Blick ins Eingangsbuch, eine dicke schwarze Kladde und eines der wenigen Dokumente, die bei mir nicht elektronisch sein dürfen. Als ich in Marinos kleiner, verschnörkelter Handschrift lese, wie viele Leichen seit meiner Ankunft gegen fünf eingeliefert worden sind, denke ich daran, dass Lucy mir nur einen Teil der Wahrheit gesagt hat. Es bestand zwar keine Notwendigkeit, zu einem dieser Fälle nachts einen Ermittler ausrücken zu lassen, doch bei einigen, genau bei vieren, muss eine Autopsie durchgeführt werden. Der Mitarbeiter, der entschieden hat, dass die Leichen untersucht werden müssen, war der diensthabende Ermittler. Wie ich inzwischen weiß, war es in dem Fall von stumpfer Gewalteinwirkung durch einen mutmaßlichen Treppensturz Toby. Für die übrigen war Marino zuständig.
Die Todesfälle, mit denen er sich befasst hat, haben sich entweder in einem Krankenhaus oder auf dem Weg dorthin im Krankenwagen ereignet. Dazu kommen zwei Verkehrstote und ein möglicher Selbstmord durch Überdosis. Ein persönliches Erscheinen am Schauplatz dieser tödlichen Zwischenfälle wäre nur auf Wunsch der Polizei zwingend gewesen. Offenbar hat Marino die Informationen telefonisch erhalten, und ich drehe mich um und will mich nach den bisherigen Fällen erkundigen. Allerdings ist der Mensch, den ich in meiner Nähe spüre, nicht Marino. Ich schrecke zusammen, als ich nur wenige Zentimeter neben mir Luke Zenner erkenne, so als hätte er mit Marino die Plätze getauscht oder wäre einfach aus dem Nichts aufgetaucht.
»Ich wollte dich nicht erschrecken.« Er hat seinen Aktenkoffer in der Hand und trägt ein weißes Hemd mit bis zu den schlanken Handgelenken heruntergefalteten Manschetten, eine schmale rot-blau gestreifte Krawatte, Turnschuhe und Jeans.
»Entschuldige, ich dachte, du wärst Marino.«
»Den habe ich gerade auf dem Parkplatz gesehen, wo er sich sämtliche SUV und Transporter anschaut, um rauszufinden, welcher der beste ist und am meisten PS unter der Haube hat. Aber danke, dass du mich mit ihm verwechselt hast.« Er grinst spöttisch. Sein Blick ist warm, und sein britischer Akzent verrät seine österreichische Herkunft nicht. »Ich werde es als Kompliment nehmen«, fügt er schmunzelnd hinzu. Ich bin nicht sicher, ob er Marino ebenso verabscheut wie dieser ihn, habe aber den Verdacht, dass das Gefühl auf Gegenseitigkeit beruht.
Dr. Luke Zenner ist in mehr als einer Hinsicht »der Neue«. Erst vor drei Jahren hat er seinen Abschluss gemacht, ich habe ihn im letzten Juni eingestellt, und zwar gegen Marinos ausdrücklichen Wunsch, wie ich hinzufügen muss. Luke ist nicht nur ein begabter Rechtsmediziner, sondern auch der Neffe einer meiner Freundinnen, bei deren Beerdigung wir vor kurzem waren. Dr. Anna Zenner war eine Psychiaterin, mit der ich mich während meiner Zeit in Richmond angefreundet hatte. Und diese Verbindung ist der Grund für Marinos ablehnende Haltung. Zumindest behauptet er
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