Knochenbett: Kay Scarpettas 20. Fall (German Edition)
wir das CFC getrennt verließen.
Beide allein. Besorgt und gedankenverloren. Unterwegs dorthin, wo wir erwartet werden, ein immer wiederkehrendes Thema, das unsere Beziehung prägt. Ich weiß genau, wenn eine Sache einzig und allein mir und sonst niemandem wichtig ist.
»Essen«, habe ich zu meinem Mann gesagt, während ich ausparkte. »Mein Gott, ich habe solchen Hunger, dass ich ein Pferd verschlingen könnte.« Nun werde ich mich um etwas kümmern, mit dem sich sonst niemand befassen will. Als ich wieder in den Rückspiegel schaue, stelle ich fest, dass der dunkelblaue Ford LTD direkt hinter mir ist.
Ich fahre am Charles River vorbei, dessen Biegungen Kurven beschreiben wie die Flure in meinem Institutsgebäude. Er wird mich dorthin bringen, wo ich bereits gewesen bin und bald wieder sein werde. Vorbei am DeWolfe Boathouse, vorbei am Schulhof der Morse School, wieder in Richtung des Viertels, wo Howard Roth gewohnt hat, und zum Fayth House. Der dunkelblaue Ford kriecht mir fast in den Kofferraum. Im Rückspiegel sehe ich ein Gesicht mit einer dunklen Brille.
Es beobachtet mich, fordert mich heraus, folgt mir, ohne einen Hehl daraus zu machen.
»Essen und Wein«, habe ich Benton gerade am Telefon gesagt. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass so etwas geschehen wird, und ich bin schockiert.
Außerdem bin ich zornig und traue meinen Augen nicht. Gleichzeitig aber bin ich nicht sicher, warum ich mich überhaupt noch wundere.
»Wir werden essen und zusammen sein, wir alle«, habe ich gesagt, während ich allein und ausgehungert war und sich allmählich Erschöpfung in mir breitmachte. Eine einzige Frage steht grell leuchtend am Horizont meiner düsteren Gedanken.
Als ich das Auto hinter mir betrachte, verhärtet sich mein Herz, so als sei etwas Lebenswichtiges gestorben und im Knochenbett meiner Gefühle versteinert.
Jetzt bist zu zu weit gegangen,
denke ich.
Viel zu weit.
Ich male mir ein Abendessen mit Lucy, Benton und Marino aus, habe Hunger und bin zornig. Ich will mich endlich mit Menschen umgeben, die mir etwas bedeuten. Es reicht, denn inzwischen habe ich die Nase gründlich voll. Als ich an der River Street rechts abbiege, folgt Douglas Burke mir. Ihre dunklen Brillengläser sind starr auf mich gerichtet.
Ich fahre auf den Parkplatz des Rite-Aid-Drogeriemarkts an der Kreuzung Blackstone und River Street, um ihr zu zeigen, dass ich sie sehr wohl bemerkt habe. Seit zehn Minuten verfolgt sie mich nun schon, und ich werde nicht zulassen, dass sie mich weiter belästigt. Ich habe keine Angst vor ihr. Also öffne ich das Fenster meines SUV . Wir stehen, Fahrertür an Fahrertür, da, wie zwei Kolleginnen bei der Polizei oder zwei Freundinnen, was wir eindeutig nicht sind.
Wir sind Feindinnen, und sie spart sich inzwischen die Mühe, das zu verbergen.
»Was ist, Douglas?« Ich habe es nie über die Lippen gebracht, Sie Doug oder Dougie zu nennen.
Allein sie anzusprechen, kostet mich schon Überwindung.
»Ich wollte es nicht in Gegenwart der anderen sagen.« Ihre Brille ist dunkelgrün oder schwarz. Die Sonne steht tief, und die alten Häuser von Cambridge werfen lange Schatten. Es ist später Nachmittag, ein Vorgeschmack auf die schlimmste Jahreszeit hier, den mörderischen Winter in Neuengland.
»Aus professionellem Respekt habe ich es nicht erwähnt, während die anderen im Raum waren«, fügt sie hinzu.
»Die
anderen
?«, wiederhole ich. Außerdem hat sie keine Ahnung, was Respekt ist, am allerwenigsten mir gegenüber.
Ihre dunklen Brillengläser starren mich weiter an.
»Sie meinen wohl, in Gegenwart von Benton.«
»Ich weiß über Ihre Nichte Bescheid.« Sie stößt diese Worte so aggressiv hervor, als müsse sie eine störrische Tierherde scheuchen.
Ich antworte nicht.
»Sie nutzt Schwachstellen in Websites aus und sucht nach Informationen.« Ihr Tonfall ist tückisch, als sei sie überzeugt, mir weh tun zu können. »Ich finde es reizend, wie Hacker ihr Treiben so beschönigen. Allerdings ist es bei Ihrer Nichte eher so, dass sie sich illegal Zugriff auf jeden Server verschafft, der sie interessiert, und zwar einzig und allein mit dem Ziel, die Arbeit der Justiz zu behindern.«
»Ich frage mich, wer sich da wohl an die eigene Nase fassen sollte.« Ich sehe sie an.
Sie deutet mit zwei Fingern erst auf ihre Augen hinter der dunklen Brille und dann auf mich.
»Ich beobachte alles«, verkündet sie theatralisch. »Richten Sie Lucy aus, dass sie nicht so neunmalklug ist, wie sie
Weitere Kostenlose Bücher