Knochenbett: Kay Scarpettas 20. Fall (German Edition)
genug, um ihren Tagesablauf zu kennen. Vielleicht war es für ihn einfach nur verdammtes Glück, dass sie ausgerechnet in der Nacht, als er sie sich schnappen wollte, auf diesem stockfinsteren Campingplatz übernachtet hat.«
»Für mich wirft das die Frage auf, ob wir es mit einem Ortsansässigen zu tun haben.« Briggs greift nach etwas.
»Oder mit jemandem, der sich immer wieder einmal in der Gegend aufhält.« Burke hat offenbar ihre eigene Theorie.
Als ich sie ansehe, ist mir klar, dass sie jemandem etwas beweisen will, vermutlich Benton, der sie in eine andere Außenstelle, vielleicht nach Kentucky, versetzen lassen möchte. Ich weiß nicht, ob er es ihr schon eröffnet hat, habe jedoch diesen Verdacht, was ich daraus schließe, dass sie sich gleichzeitig eigensinnig, stur und verführerisch verhält. Ich spüre, dass Wut in ihr brodelt, während sie ihre Theorien und sich selbst in einem möglichst positiven Licht darzustellen versucht.
»Jemand, der sich in der Gegend auskennt«, fährt sie fort, »und aus irgendeinem Grund Informationen über Emma hatte, zum Beispiel, dass die Paläontologen bei schlechtem Wetter nicht am Wapiti arbeiten.«
»Sedimentärer Tonschiefer«, wendet sich Benton an uns und ignoriert sie. »Tonerde aus dem Fluss. Die Ureinwohner haben Tabakspfeifen daraus gemacht. Das Zeug klebt an Schuhen und Kleidung fest wie Zement. Nachdem Emma am letzten Tag ihres Lebens auf dem Knochenbett gearbeitet hatte, hatte keiner mehr Lust, sich zu waschen, auch sie nicht. Stattdessen sind sie einfach so zum Essen gegangen. Als sie sich schließlich in ihren Wohnwagen zurückzog, muss sie deshalb über und über mit Schlamm bedeckt und dem Wetter entsprechend bekleidet gewesen sein, unter anderem mit der blauen Regenjacke mit Kapuze, die an der Leiche gefunden wurde.«
»Also gut«, erwidert Hahn, »auf dem Campingplatz ist es so dunkel, dass alle nur mit Taschenlampen herumlaufen, weil man die Hand nicht vor Augen sieht, wenn nicht gerade Vollmond ist. Und das war in dieser Nacht eindeutig nicht der Fall. Es war stockfinster, und es hat geregnet. Ihre Kollegen haben auch von Lärm gesprochen, so als hätte jemand eine Dusche voll aufgedreht.«
»Also wäre es ein Leichtes gewesen, irgendwo in der Nähe ein Fahrzeug zu parken und sie zu entführen«, meint Benton.
»Insbesondere dann, wenn sie zuerst schachmatt gesetzt wurde«, ergänze ich.
»Außer wir sprechen von einer Person, die sie freiwillig begleitet hätte«, wendet Briggs ein. Anscheinend liest er Berichte und zeichnet sie mit seinen Initialen ab.
»Das bezweifle ich, sonst hätten ihre Kollegen davon gewusst«, entgegnet Benton. »Emma hat nichts dergleichen erwähnt. Außerdem schließe ich aus den uns übermittelten Vernehmungsprotokollen, ihren Mails und den Nachrichten auf ihrer Mailbox, dass sie nur für ihren Beruf gelebt hat. Sie hatte keine Liebesbeziehung und pflegte mit ihren Kollegen bei den Ausgrabungen und im Labor nur rein beruflichen Umgang. Als sie in der fraglichen Nacht das Speisezelt verließ, sagte sie, sie sei müde und werde sich jetzt hinlegen. Dann hat sie sich allein auf den Weg durch den Campingplatz gemacht.«
»Gab es in der Nähe ihres Wohnwagens Reifenspuren oder Fußabdrücke?«, erkundigt sich Briggs.
»Nichts als eine von tiefen Pfützen durchsetzte Schlammwüste, so stark hat es geregnet«, erklärt Benton.
»Also lautet die Vermutung, dass der Mörder sie dazu gebracht hat, die Tür des Wohnwagens zu öffnen?« Briggs trinkt etwas aus einer Tasse, bestimmt Kaffee, und wenn wir jetzt allein wären, würde er meinen üblichen Spruch zu hören kriegen. Er schüttet den ganzen Tag und bis spät in die Nacht Kaffee in sich hinein und klagt dann über Schlafstörungen. Während meines sechsmonatigen Praktikums als forensische Radiologin in der Rechtsmedizin von Dover habe ich es geschafft, ihn zu überreden, nachmittags nur noch koffeinfreien zu trinken, lange Spaziergänge zu machen und heiße Bäder zu nehmen.
Alte schlechte Angewohnheiten wird man nur schwer wieder los, und gute Vorsätze haben meistens keine lange Lebensdauer, Kay,
würde er vermutlich antworten. So wie immer, wenn ich ihm einen Vortrag halte.
»Ich vermute eher, dass er sie überfallen hat, bevor sie hineingegangen ist«, sagt Benton. »Nichts weist darauf hin, dass sie den Wohnwagen je wieder betreten oder sich darin aufgehalten hat. Es wurden weder schlammige Stiefel gefunden noch nasse Kleidung. Außerdem stand die Tür
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