Knochenbett: Kay Scarpettas 20. Fall (German Edition)
ihren Lebensunterhalt zu arbeiten und hat sich ein wenig ehrenamtlich und kulturell betätigt. Du kennst so etwas ja«, meint sie zu Benton, als gehöre er auch zu diesen Leuten. Es ist schwer festzustellen, ob sie ihn auf den Arm nimmt, mit ihm flirten will oder sich einfach nichts dabei denkt.
»Aber die meisten Menschen lassen wenigstens ein paar Lichter an.« Offenbar interessiert ihn die Frage, ob Peggy Stanton sich zurückgezogen hat und den Nachbarn eher aus dem Weg gegangen ist. War sie beliebt oder gehörte sie zu den Leuten, um die man besser einen Bogen macht?
Verbrecher suchen sich ihre Opfer nach bestimmten Kriterien aus.
»Wir haben uns alle Zimmer angesehen«, teilt Burke uns mit. »Sil durchsucht noch immer den Keller und will dir etwas Elektrisches zeigen«, wendet sie sich an Benton. »Keine Ahnung, was genau, ich bin ja kaum fähig, einen Toaster zu bedienen. Bis jetzt nichts Aufschlussreiches entdeckt. Nur dass die Bude schon seit mindestens ein paar Wochen leer steht.«
Ein paar Wochen.
Der Eindruck, den ich hier bekomme, gefällt mir gar nicht.
»Wir haben die Unterlagen von der Sicherheitsfirma angefordert. Vermutlich werde wir daraus am ehesten erfahren, wann sie zuletzt hier war«, fügt Burke hinzu. Doch ich bin da anders Ansicht.
»Ein Hinweis darauf, wann das Haus zuletzt betreten worden ist, heißt noch lange nicht, dass diese Person Peggy Stanton gewesen sein muss«, wende ich ein. »Es käme auch jemand anderer in Frage.«
Ich ziehe die Kampfstiefel aus, nicht dieselben, die ich heute schon einmal anhatte. Denn ich habe darauf bestanden, zu duschen und mich umzuziehen, bevor wir irgendwohin fahren.
»Außerdem kann ich Ihnen mit einiger Gewissheit sagen, dass sie in den letzten Wochen nicht im Haus war, denn da war sie bereits tot. Was ist mit einer Zugehfrau?«
»Dass hier schon wochenlang nicht mehr geputzt wurde, steht eindeutig fest.«
Wochen,
denke ich. Die Sache gefällt mir immer weniger. Burke wird jede meiner Schlussfolgerungen nach Lust und Laune anzweifeln, wenn ihr ein passendes Gegenargument einfällt. Und Benton wird sie nicht daran hindern.
»Wissen wir, ob sie eine Zugehfrau hatte?«, frage ich. »Vielleicht hat sie ja selbst saubergemacht.«
»Das können wir noch nicht sagen. Wie Ihnen vielleicht aufgefallen ist, war auch schon länger kein Gärtner da«, antwortet sie. Meine Einstellung zu ihr hat sich in all den Jahren, die ich sie nun entfernt kenne, nicht geändert.
Special Agent Douglas Burke, eine frühere Staatsanwältin, recht intelligent und forsch im Auftreten, legt gegenüber der Ehefrau des Mannes, mit dem sie sehr eng und in geheimer Mission zusammenarbeitet, stets die angemessene Höflichkeit an den Tag. Ich mag sie und kann sie gleichzeitig nicht leiden. Außerdem bin ich nicht sicher, was sie wirklich von mir hält und was sie für meinen Mann empfindet. Sie verrät ihre Interessen und Gefühle nicht; allerdings fange ich im Moment klar und deutlich eine Stimmung auf.
»In Cambridge ist so etwas auffällig.« Benton wischt sich Jacke und Schuhe mit dem Handtuch ab. »Wenn man Garten und Immobilie zu lange vernachlässigt, ruft unweigerlich jemand bei der Stadt an, um sich zu beschweren.«
»Das haben wir auch schon gehört.« Burke reicht uns Overalls. »Außerdem haben wir erfahren, dass sie am 3 . Mai die Zeitung abbestellt hat.«
»Oder jemand anders hat es getan.« Benton legt Jacke und Schuhe ordentlich in der mit Plastik abgedeckten Schutzzone ab. »Das geht heutzutage übers Internet. Wenn man jemanden entführt, möchte man schließlich nicht, dass die Person zu schnell vermisst wird. Also geht man online und stoppt die Zeitungslieferung. Außerdem ruft man mit dem Mobiltelefon des Entführten regelmäßig die Auskunft oder sonstige Stellen an, wo nur ein Tonband anspringt. Oder man meldet sich zu seltsamen Uhrzeiten bei Leuten, die auf der Kontaktliste stehen, und legt dann auf, ohne eine Nachricht zu hinterlassen.«
»Sie hat die Zeitung immer im Frühjahr oder Frühsommer abbestellt«, teilt Burke uns mit. »Insbesondere den
Boston Globe,
sobald sie sich nicht in Cambridge aufhielt. Offenbar hat sie die Sommer nicht mehr hier verbracht, seit ihre Familie bei dem Flugzeugabsturz umgekommen ist. Ich wage nicht, mir auszumalen, wie so etwas ist. Das darf ich mir gar nicht vorstellen. Alle auf einmal zu verlieren.«
»Sicher hat sie das verändert. Danach war sie nicht mehr derselbe Mensch, im Positiven wie im Negativen.«
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