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Knochenerbe

Knochenerbe

Titel: Knochenerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlaine Harris
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hinterlassen.
    Ich durfte die Polizei nicht anrufen und Jane vor aller Welt als Mörderin bloßstellen. Sie hatte darauf gezählt.
    Die Fensterbank übte eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus. Irgendwann gab ich ihr nach, ging hin und klappte den Deckel hoch.
    „Wer zum Teufel bist du?“, fragte ich den Schädel, ehe ich meinen Widerwillen überwand und ihn mit beiden Händen aus seinem Versteck hob. Anders als die Knochen, die man in Filmen zu sehen bekam, war er nicht weiß, sondern eher bräunlich. Ob es der Schädel eines Mannes oder einer Frau war, hätte ich nicht sagen können, aber auf die Todesursache seines Besitzers gab es einen eindeutigen Hinweis: ein Loch mit unregelmäßig gezackten Rändern hinten am Hinterkopf.
    Wie um alles in der Welt hatte die ältliche Jane einen solchen Schlag landen können, wie hatte sie die Kraft dazu aufgebracht und wer mochte der Tote sein? Ein Gast, der gestürzt war und sich den Kopf aufgeschlagen hatte? Hatte Jane befürchtet, man würde sie bezichtigen, diesen Menschen ermordet zu haben? Ein vertrauter und fast schon beruhigender Plot für jemanden, der es gewohnt war, Kriminalromane zu lesen. „Arsen und Spitzenhäubchen“ fiel mir als Nächstes ein – lag hier der Schädel eines Obdachlosen oder eines einsamen, alten Mannes ohne Familie? Aber Lawrenceton war klein, es wäre bestimmt aufgefallen, wenn jemand verschwunden wäre. Ich zumindest erinnerte mich aus den letzten Jahren an keinen solchen Fall.
    Der letzte Vermisste war Carey Oslands Ehemann gewesen, der losgezogen war, um Windeln zu kaufen und nie mehr zurückkam.
    Fast hätte ich vor Schreck den Schädel fallen lassen. Mein Gott – war das etwa Mike Osland? Behutsam legte ich meinen Fund auf Janes Couchtisch, als könnte ich ihm wehtun, wenn ich nicht ganz sanft mit ihm umging. Was sollte aus ihm werden? In die Fensterbank konnte er nicht zurück. Ich hatte den Teppich gelöst und würde ihn nie wieder so glatt ankleben können, wie er gewesen war. Damit fiel das Versteck aus, da jeder mit Augen im Kopf es sofort bemerkt hätte. Konnte ich eines der Verstecke wählen, in denen der Einbrecher nach dem Schädel gesucht hatte? Der war ja schließlich schon dagewesen und würde doch wohl hoffentlich nicht wiederkommen.
    All diese Überlegungen warfen einen Rattenschwanz an neuen Fragen auf. War der Einbrecher auf der Suche nach dem Schädel gewesen? Wenn Jane jemanden umgebracht hatte: Wieso wusste jemand anderes davon? Warum suchte jetzt jemand nach dem Schädel? Warum ging die betreffende Person nicht zur Polizei und sagte: „Guten Tag, ich weiß mit Sicherheit, dass Jane Engle irgendwo in ihrem Haus einen Schädel aufbewahrt.“ Klar hörte sich das verrückt an, aber genau das würden die meisten Menschen doch tun, sie würden mit so einer Information zur Polizei gehen. Warum dann nicht in diesem Fall?
    Insgesamt spukten in meinem Kopf jetzt mehr Fragen herum, als man mir in der Bibliothek im Laufe eines ganzen Monats gestellt hatte. Noch dazu waren die Fragen der Büchereinutzer viel leichter zu beantworten. „Können Sie mir für meine Mutter einen Krimi ohne Sex empfehlen?“ war eine vergleichbar einfache Frage, verglichen mit „Wessen Schädel hockt da auf meinem Couchtisch?“
    Gut, gut, Roe, immer hübsch eins nach dem anderen. Erst mal den Schädel verstecken. Mein Gefühl riet mir, ihn aus dem Haus zu schaffen – und ich spreche hier absichtlich von meinem Gefühl, denn mit meinem Verstand war in jenem Moment nicht viel anzufangen.
    Ich holte mir aus der Küche eine feste, braune Papiertüte, in die ich den Schädel versenkte. Dann holte ich mir noch eine zweite und tat eine Dose Kaffee hinein – zwei braune Papiertüten sahen bestimmt weniger verdächtig aus als eine. Nachdem ich die Fensterbank wieder so gut hergerichtet hatte, wie ich konnte, warf ich einen Blick auf die Uhr: Wunderbar, es war nach zehn. Carey dürfte inzwischen zur Arbeit gefahren sein. Torrance Rideout hatte ich schon vor einer ganzen Weile wegfahren sehen, aber seine Frau musste zu Hause sein, wenn ich ihn am Vortag richtig verstanden hatte. Falls sie nicht gerade etwas erledigte.
    Vorsichtig spähte ich durch die Lamellen der Jalousie. Das Haus gegenüber dem der Rideouts lag noch so still da wie am Tag zuvor. Gegenüber von Careys Haus spielten zwei Kinder im Garten, aber ziemlich weit weg, in der Nähe der Faith Street. Die Luft schien rein. Aber nicht lange: Ich wollte mich gerade vom Fenster wegdrehen, als

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