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Knochenfunde

Knochenfunde

Titel: Knochenfunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Johansen
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auf den Balkon und schaute zum Eingang der Kirche hinüber. Vielleicht war ja doch jemand da. Vielleicht sollte sie nach dem Abendessen einen kleinen Spaziergang dorthin machen…
    Aber das Abendessen würde in einer halben Stunde fertig sein, und vorher wollte sie noch duschen. Sie musste sich beeilen. Falls sie zu spät kam, würde es sie nicht wundern, wenn Marie das Essen in den Sumpf warf.
    Und was war ein trou du cul…
    »Köstlich.« Eve aß den letzten Bissen von ihrem Teller. »Was ist das?«
    »Spezzatino di Manzo coi Fagioli«, sagte Marie.
    »Und das ist?«
    Marie grinste. »Rindfleischeintopf.«
    »Ist das ein regionales Gericht?«
    »Nein, ein italienisches. Ich bin nicht nur auf die Cajun-Küche spezialisiert.« Sie verzog das Gesicht. »Tanzer hatte wahrscheinlich eine ganz bestimmte Schublade für mich parat, aber ich bin nicht so einfach gestrickt, wie er glaubt.«
    »So einen Rindfleischeintopf habe ich noch nie gegessen. Was ist da drin?«
    »Alles. Aber mehr kann ich Ihnen leider nicht sagen. Es ist das Rezept meiner Mutter und ein großes Geheimnis. Wenn ich es Ihnen verraten würde, müsste ich Sie anschließend töten.«
    Eve wunderte sich inzwischen nicht mehr über den makabren
    Humor der Frau. Es machte ihr Spaß, sich mit Marie zu unterhalten, sie hatte offenbar eine Menge zu erzählen. Marie war eine ungewöhnliche Frau, und das war das Mindeste, was man von ihr sagen konnte. »Um Gottes willen. Ihre Mutter hat Ihnen das Kochen beigebracht?«
    »Zum Teil. Nach der Uni bin ich in New Orleans auf eine Koch-
    schule gegangen. Ich wollte eine großartige, temperamentvolle Kö-
    chin werden, eine die die Welt mit ihren außergewöhnlichen Kreationen beeindruckt.«
    »Nun, mich haben Sie jedenfalls beeindruckt. Sie haben es sich anders überlegt?«
    Marie zuckte die Achseln. »Manchmal läuft das Leben eben an-
    ders. Ich wurde schwanger und musste mich auf die neue Situation einstellen. Wenn man für ein Kind sorgen muss, kann man keine großen Risiken eingehen.«
    »Sie haben ein Kind?«
    »Einen Jungen. Na ja, er ist inzwischen erwachsen.
    Pierre studiert an der Tulane University in New Orleans. Er ist sehr warmherzig und intelligent. Er wird mal ein guter Arzt, aber das kostet eine Menge Geld.« Sie schaute Eve an. »Haben Sie Kinder?«
    »Ich habe eine Adoptivtochter, Jane. Sie ist erst zwölf, aber sie ist ein wunderbares Mädchen.«
    »Dann verstehen Sie sicher, was ich für Pierre empfinde«, sagte Marie ernst. »Ich würde alles für ihn tun. Er ist mein Ein und Alles.«
    »Ja, das verstehe ich.«
    »Gut.« Die Haushälterin holte tief Luft. »Noch einen Schluck
    Wein?«
    Eve schüttelte den Kopf. »Ich muss einen klaren Kopf bewahren.
    Ich glaube, ich mache einen kleinen Spaziergang rüber zur Kirche und sehe mal nach, ob ich irgendetwas tun kann.«
    »Was machen Sie beruflich?«
    »Ich bin Gesichtsrekonstrukteurin.« Das reichte selten als Erklä-
    rung. »Ich rekonstruiere Gesichter anhand von Schädeln.«
    »Darüber habe ich im Fernsehen mal einen Film gesehen.« Marie verzog das Gesicht. »Ziemlich gruselig.«
    »Das kommt ganz darauf an, wie man es betrachtet. Man ge-
    wöhnt sich daran.« Eve stand auf. »Vielen Dank für das phantastische Essen, Marie.«
    »Wen werden Sie…« Sie suchte nach dem richtigen Wort. »Re-
    konstruieren?«
    »Ich vermeide es, das im Voraus zu erfahren. Es könnte mich beeinflussen. Werden wir uns noch sehen, wenn ich zurückkomme?«
    Marie schüttelte den Kopf. »Ich werde den Abwasch erledigen
    und dann nach Hause gehen.«
    »Wo wohnen Sie?«
    »Ich habe ein Haus in der Stadt. Ihr Hausschlüssel liegt auf dem Tisch im Foyer. Ich werde die Hintertür verriegeln.
    Morgen früh um sieben bin ich wieder da, um Ihnen das Frühs-
    tück zu machen.«
    »Dann sehen wir uns morgen früh.« Eve hoffte allerdings, dass sie um diese Zeit längst bei der Arbeit war. »Auf Wiedersehen, Marie.«
    Marie wandte sich lächelnd ab.
    Nette Frau, dachte Eve, als sie das Haus verließ. Gott sei Dank würde sie an diesem seltsamen Ort eine Frau um sich haben, die ihr sympathisch war und mit der sie sich verstand. Schon jetzt fühlte sie sich wesentlich wohler als zu Anfang.
    Wenige Minuten später überquerte sie die Brücke, die über den Sumpf führte. Seltsam, diese alte Kirche als Arbeitsplatz auszuwählen, dachte sie. Vielleicht aber auch nicht. Auf jeden Fall war sie hier ungestört, und Melton hatte ja betont, dass es sich um eine streng vertrauliche

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