Knochenfunde
das Gesicht. »Ich tappe natürlich völlig im Dunkeln, und das frustriert mich ungeheuer. Er hat mir gesagt, sie würden das Skelett hierher bringen, aber nicht wann und warum. Er versprach, sich wieder bei mir zu melden, sobald das Skelett in der Kirche eingetroffen sei.« Er schaute die beiden an. »Ich habe nie wieder von ihm gehört.«
»Es gibt kein Skelett«, sagte Eve. »Nur einen Schädel.«
»Ach, wirklich?« Nathan runzelte die Stirn. »Er sprach von einem Skelett. Möchte wissen, was mit dem Skelett – «
»Ein Skelett bietet wesentlich mehr Möglichkeiten für eine DNS-Analyse«, sagte Galen. »Dem Schädel fehlen auch die Zähne. Könn-te das auf Etiennes Konto gehen?«
»Möglich«, erwiderte Nathan. »Falls ja, dann könnte ich mir vorstellen, dass Jules ziemlich sauer war. Ich habe Etienne geraten, äußerst vorsichtig zu sein. Ein Skelett zu stehlen ist aber nicht besonders vorsichtig.«
»Aber Sie haben nicht versucht, ihn aufzuhalten.«
»Ich bin Journalist, und die ganze Sache roch nach einer Riesen-story. Ich lasse mir keine Schuldgefühle einreden, bloß weil ich meine Arbeit gemacht habe. Etienne war nicht gerade ein Waisen-kind.« Er lächelte grimmig. »Aber wenn das Leben Unschuldiger auf dem Spiel steht, schaltet mein Gewissen sich leider doch ein. Und deswegen bin ich jetzt hier.«
»Sie haben ja lange genug gebraucht, um sich zu dem Entschluss durchzuringen«, bemerkte Galen.
»Ich musste erst darüber nachdenken.« Galen hob eine Braue.
»Es ist die Wahrheit!«, sagte Nathan aufgebracht. Er schaute Eve an.
»Dann hab ich aus der Zeitung von Marie Letaux’ Tod erfahren. In demselben Artikel wurde angedeutet, dass Sie ebenfalls von der Lebensmittelvergiftung betroffen waren. Anfangs habe ich mir eingeredet, dass es wahrscheinlich ein Unglücksfall war. Verdammt, es konnte tatsächlich so gewesen sein. Aber als Pierre Letaux dann auch noch starb… Zu viele Zufälle, wenn man bedenkt, was Etienne mir erzählt hat. Eine Zeit lang habe ich mir den Kopf darüber zer-brochen, aber schließlich bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ich nicht warten konnte, bis Sie den Schädel rekonstruiert haben. Es half alles nichts, ich musste meine Story aufs Spiel setzen. Also packen Sie Ihre Sachen und machen Sie, dass Sie schleunigst von hier wegkommen.«
Galen schaute Eve an. »Keine schlechte Idee.«
»Sie glauben ihm also?«
»Mehr oder weniger. Die Beweise verdichten sich, und das ge-
fällt mir nicht. Wenn man zusätzlich bedenkt, was Quinn uns heute erzählt hat, meine ich, wären wir wohl beraten, unsere Zelte abzubrechen und das Weite zu suchen.«
Eve gefiel die ganze Sache auch nicht. Nathans Berichte von Geheimorganisationen, die das alltägliche Leben der Menschen bestimmten, war zugleich beängstigend und absurd. Dasselbe galt für die Tatsache, dass Melton, der sie dazu überredet hatte, diesen Auftrag anzunehmen, womöglich mit dem Mann unter einer Decke
steckte, der den Tod ihrer Tochter benutzt hatte, um sie zu manipulieren. Der Gedanke versetzte sie in Rage.
»Eve?«
»Ich denke nach.« Galen hatte Recht. Egal, ob es den Cabal tat-sächlich gab oder nicht, die Beweise, die nahe legten, dass hier irgendeine Art von Verschwörung im Gange war, summierten sich.
Der Tod von Capel und der Tod von Marie und Pierre Letaux müssten ihr eigentlich schon reichen. Allein ihre fixe Idee, Victors Rekonstruktion zu Ende bringen zu müssen, hielt sie davon ab, sich das einzugestehen.
Victor.
»Wir reisen ab«, sagte sie. »Aber den Schädel lasse ich nicht hier. Der kommt mit.«
»Was?«, fragte Nathan. »Warum?«
»Weil sie es so will«, sagte Galen. »Und ich bin allmählich bereit, sie tun zu lassen, was sie will, wenn es dazu dient, diesen Mist-kerlen eins auszuwischen. Eve, wir können nichts von dem, was Nathan sagt, für bare Münze nehmen, solange ich ihn nicht überprüft habe, aber wenn Sie nicht zum Handlanger werden wollen, müssen Sie nach Ihren eigenen Regeln handeln!«
»Und Victor mitnehmen«, erwiderte sie trocken. »Ich behalte ihn so lange, bis ich mich entschieden habe, wie wir vorgehen werden.«
Nathan schüttelte den Kopf. »Wollen Sie ihn tatsächlich steh-
len?«
»Ich leihe mir den Schädel nur vorübergehend aus. Bis ich eine Entscheidung getroffen habe, gehört er mir. Ich bestimme, was mit Victor geschieht. Nicht Hebert oder Melton oder irgendeine blöde Geheimorganisation. Sollen sie sich meinetwegen alle gegenseitig umbringen. Ich lasse nicht
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