Knochenlese: 5. Fall mit Tempe Brennan
zurückfuhren, schauten wir im Polizeirevier vorbei. Der verantwortliche Detective hatte uns nichts Neues zu berichten. Er nahm unsere Aussage auf, aber es war klar, dass er der Sache mit meinem Namen wenig Glauben schenkte. Über die Erwähnung eines Inspektors sagten wir nichts.
Während der ganzen Rückfahrt nach Guatemala City fiel Dunst aus einem weichen grauen Himmel. In den Tälern war der Nebel so dicht, dass er die Welt außerhalb unseres Jeeps verschluckte. Auf den Hügelkuppen wehte er über die Straße wie Meeresgischt.
Wie auf der Hinfahrt redeten Mateo und ich nur wenig. Gedanken taumelten mir durch den Kopf, jeder mit einem Fragezeichen am Ende.
Wer hatte auf Carlos und Molly geschossen? Warum? Die Polizei irrte sich bestimmt, was den Raubüberfall anging. Ein amerikanischer Pass ist Gold wert. Warum wurde Mollys nicht mitgenommen? Wollte die Polizei etwas anderes als einen Raubüberfall vielleicht gar nicht in Betracht ziehen? Was waren deren Motive?
Konnte Molly Recht haben? Sollten mit dem Überfall die Ermittlungen in Chupan Ya behindert werden? Fürchtete jemand mögliche Enthüllungen über das Massaker?
Molly war sich ziemlich sicher, dass ihre Angreifer den Namen Brennan genannt hatten. Mir fiel nur eine Brennan ein. Warum interessierten sie sich für mich? Sollte ich ihr nächstes Opfer sein?
Wer war dieser Inspektor? Waren die Polizisten einfach nur widerwillige Ermittler, oder waren sie Beteiligte an diesem Verbrechen?
Wieder und wieder ertappte ich mich dabei, wie ich in den Rückspiegel schaute.
Nach einer Stunde Fahrt legte ich den Kopf auf die Nackenstütze und schloss die Augen. Ich war seit fünf Uhr auf den Beinen. Mein Hirn wurde träge, meine Lider immer schwerer.
Das Schaukeln des Jeeps. Der Wind auf meinem Gesicht.
Trotz meiner Angst fing ich an zu dösen und ließ meinen Assoziationen freien Lauf.
Inspektor. Was für ein Inspektor?
Bauinspektor. Agrarinspektor. Autobahn. Autoabgase. Regenwasser. Abwasser.
Abwasser.
Faultank.
Paraíso.
Ich schoss in die Höhe.
»Was, wenn es gar nicht um einen Inspektor ging?«
Mateo schaute mich kurz an, dann wieder auf die Straße.
»Was, wenn Molly mehr als einen Namen gehört hat?«
»Señor Inspektor?«
Mateo brauchte nur eine Nanosekunde.
»Señor Specter.«
»Genau.« Ich war froh, dass Galiano ihm von Chantale Specter erzählt hatte.
»Du glaubst, dass sie über André Specter gesprochen haben?«
»Vielleicht hatte der Überfall etwas mit der Tochter des Botschafters zu tun?«
»Warum dann die Schüsse auf Carlos und Molly?«
»Vielleicht haben sie Molly für mich gehalten. Wir sind beide Amerikanerinnen, beide ungefähr gleich groß, und wir haben beide braune Haare.«
Mein Gott. Das klang alles viel zu plausibel.
»Vielleicht wurde deshalb mein Name genannt.«
»Aber Galiano hat dich erst nach den Schüssen auf Carlos und Molly zum Paraíso-Fall hinzugezogen.«
»Vielleicht erfuhr jemand von seiner Absicht und wollte mich aus dem Verkehr ziehen.«
»Wer könnte solche Informationen haben?«
Wieder das Bild von Galiano in der Nische im Gucumatz. Mich fröstelte.
Minuten später:
»¡Maldición!« Verdammt!
Mateo starrte in den Rückspiegel. Ich schaute in den auf meiner Seite.
Rot pulsierte im Nebel hinter uns. Eine Sirene, schwach, aber unverkennbar.
Mateos Blick sprang zwischen dem Rückspiegel und der Windschutzscheibe hin und her. Ich konzentrierte mich auf den Streifenwagen.
Das Licht wurde greller, wie ein rotes Gewitter. Die Sirene wurde lauter.
Mateo wechselte auf die Kriechspur.
Der Streifenwagen raste auf uns zu. Rot zuckte durch den Jeep. Die Sirene heulte. Mateo hielt den Blick stur geradeaus gerichtet. Ich starrte einen Rostfleck am Armaturenbrett an.
Der Streifenwagen scherte nach links aus, schoss vorbei und verschwand im Nebel.
Mein Herz beruhigte sich erst wieder, als wir sicher hinter dem verschlossenen Tor der FAFG-Zentrale waren.
Galiano war nicht da, als ich in seinem Büro anrief, meldete sich aber wenige Minuten nach meiner Piepsernachricht. Er war bis zum Abend beschäftigt, wollte aber unbedingt wissen, was ich von Molly erfahren hatte. Er schlug ein Abendessen im Las Cien Puertas vor. Hervorragendes Essen. Moderate Preise. Gute Latinomusik. Er klang, als besäße er Aktienanteile.
Die nächsten drei Stunden widmete ich Chupan Ya und kehrte um Viertel nach sechs völlig deprimiert über die so quälend sinnlose Vernichtung von Leben in mein Hotel zurück. Ich hatte
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