Knochenlese: 5. Fall mit Tempe Brennan
mein linkes Lid, mein rechtes.
Galianos Handy schrillte.
Wir flogen auseinander.
Er zog sich das Gerät vom Gürtel und schaltete es ein. Eine Hand blieb in meinen Haaren.
»Galiano.«
Pause.
»Ay. Dios.«
Ich hielt den Atem an.
»Wann?«
Längere Pause.
»Weiß der Botschafter Bescheid?«
Ich schloss die Augen, spürte, wie meine Hände sich zu Fäusten ballten.
»Wo sind sie jetzt?«
Gott, bitte. Nicht noch eine Leiche.
»Ja.«
Galiano schaltete ab, strich mir über den Kopf und legte mir dann die Hand auf die Schulter. Einen Augenblick lang starrte er mich einfach nur an, und die Guernsey-Augen blitzten in der Dunkelheit des Autos.
»Chantale Specter?« Ich brachte die Frage kaum heraus.
Er nickte.
»Tot?«
»Sie wurde gestern Nacht in Montreal verhaftet.«
14
»Sie lebt?« Ich wusste, wie dumm die Frage war, kaum dass ich sie ausgesprochen hatte.
»Lucy Gerardi war bei ihr.«
»Das gibt’s doch nicht.«
»Sie wurden wegen Diebstahls von CDs im MusiGo in Le Fauburg verhaftet.«
»Ladendiebstahl?« Ich klang wie ein Trottel, aber das alles ergab für mich keinen Sinn.
»Cowboy Junkies. «
»Warum?«
»Schätze, sie stehen auf Folk-Rock.«
Ich verdrehte die Augen, im Dunkeln noch eine sinnlose Reaktion.
»Was hat sie nur nach Montreal gebracht?«
»Air Canada.«
Arschloch. Diese Antwort verkniff ich mir.
Galiano ließ den Motor an und fuhr vom Parkplatz.
Während der Rückfahrt saß ich mit an die Brust gezogenen Knien da. Die Schutzhaltung war unnötig. Die Nachricht über Chantale Specter hatte jedes amouröse Gefühl, das vielleicht in uns beiden aufgekommen war, weggewischt.
Vor dem Hotel öffnete ich die Tür, bevor das Auto ganz zum Stehen kam.
»Ruf mich an, sobald du etwas weißt.«
»Mach ich.«
Ich wedelte kurz die Hand in die Luft zwischen Galiano und mir.
»Wird das jetzt ein Problem?«
Galiano grinste. »Absolut nicht.«
Da ich zu aufgewühlt war, um zu schlafen, hörte ich meine Anrufbeantworter in Montreal und Charlotte ab. Pierre LaManche hatte angerufen, um mir mitzuteilen, dass man auf einem Dachboden in Quebec City einen mumifizierten Kopf gefunden hatte. Die Zeitungen, in die er eingewickelt war, stammten aus den Dreißigern. Der Fall war nicht dringend. Allerdings war in Lac des Deux-Montagnes ein verwester menschlicher Torso an Land gespült worden, und er wollte, dass ich ihn so bald wie möglich untersuchte.
In North Carolina gab es keine Anthropologiefälle.
Pete sagte, dass es Boyd und Birdie gut gehe.
Katy war nicht zu Hause.
Ryan war nicht zu Hause.
Ich aß zwei Donuts aus einer Schachtel, die ich in der Kochnische verstaut hatte, und schaltete CNN ein.
Der Tropensturm Armand bedrohte die Landzunge Floridas. Drei Kanadier waren wegen Börsenbetrugs in Buenos Aires festgenommen worden. Eine Bombe hatte in Tel Aviv fünf Menschen getötet. Bei einem Zugunglück in der Nähe von Chicago waren über hundert Menschen verletzt worden. Glückliche Anwälte.
Als Nächstes badete ich, massierte mir Conditioner in die Haare, rasierte Achselhöhlen und Beine, zupfte mir die Augenbrauen und cremte meinen ganzen Körper ein.
Haarlos und glatt kletterte ich ins Bett.
Mein Hirn arbeitete noch immer auf Hochtouren, und der Schlaf wollte einfach nicht kommen.
Claudia de la Alda war ein Mordopfer hier in Guatemala. Patricia Eduardo wurde noch immer vermisst, aber sie konnte das Mädchen im Faultank sein. Chantale Specter und Lucy Gerardi waren am Leben und in Kanada unter Arrest.
Was hatte Chantale und Lucy nach Montreal gelockt? Wie waren sie dorthin gelangt, ohne eine Spur zu hinterlassen? Wo hatten sie sich versteckt und warum?
Gab es eine Verbindung zwischen dem Mädchen im Faultank und dem Mord an Claudia de la Alda, oder hatten die beiden Fälle nichts miteinander zu tun? Löste sich Galianos Serienmörder-Theorie in Luft auf? Wer hatte wegen Claudias Leiche angerufen?
Wer kümmerte sich um Claudias Familie? War jemand bei ihnen, um ihnen in ihrem unerträglichen Leid beizustehen?
Wo war Patricia Eduardo? War die Leiche im Faultank wirklich die ihre? Ein merkwürdig zusammenhangloser Gedanke: Wer kümmerte sich um Patricias Pferd?
Wer hatte Galiano wegen Chantale Specter angerufen? Ich war so überrascht gewesen von der Nachricht, dass ich gar nicht daran gedacht hatte, ihn zu fragen.
Galiano.
Ich zuckte innerlich zusammen. Ich kam mir vor wie ein Mädchen, das man beim Petting auf der Couch ertappt hatte.
Und was war mit Ryan?
Was war
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