Knochenlese: 5. Fall mit Tempe Brennan
Frustration. Je härter Galiano und ich arbeiteten, desto weiter schienen wir von Antworten entfernt.
Ich musste etwas Konkretes finden.
Ich brauchte eine Meinung über Katzenhaare.
Ich schaute auf die Uhr. Sieben Uhr vierzig.
Und noch etwas. Aber hatte Fereira das geschafft?
Im Karton waren noch zwei Donuts. Wie viele Kalorien wären das? Eine Million oder zwei? Aber morgen wären sie alt.
Der Abstecher nach Montreal würde nur ein paar Tage dauern. Ich könnte die Wogen zwischen Mrs. Specter und Chantale glätten und dann zu den Opfern aus Chupan Ya zurückkehren.
Ich aß die Donuts, trank meinen Kaffee aus und ging ins Bad.
Um acht rief ich das Institut in Montreal an und ließ mich mit der DNS-Abteilung verbinden. Als Robert Gagné sich meldete, schilderte ich ihm kurz den Paraíso-Fall und erklärte ihm, was ich brauchte. Er meinte, das könne gehen, und er würde es vorrangig behandeln, falls ich die Probe persönlich ablieferte.
Ich rief Minos an. Er versprach, die Katzenhaare in einer Stunde verpackt und abholbereit zu haben.
Ich rief in der Leichenhalle von Guatemala City an. Dr. Fereira hatte geschafft, worum ich sie gebeten hatte.
Dann rief ich Susanne Jean im Fabrikationsbetrieb der RP Corporation in St. Hubert an und erzählte ihr dasselbe, was ich Gagné erzählt hatte. Sie meinte, meine Idee könne funktionieren.
Ich rief Mateo an. Er sagte, ich solle mir alle Zeit nehmen, die ich brauchte.
Dasselbe bei Galiano.
Ich legte auf und ging zur Tür.
Okay, Mrs. Botschafterin. Sie haben eine Reisegefährtin. Und ich hoffe, dass Sie und Ihre Begleiterin vom guatemaltekischen Zoll einfach durchgewunken werden.
Angelina Fereira war gerade mit einem der Unfallopfer beschäftigt, als ich den Autopsiesaal betrat. Ein Mann lag auf dem Tisch, Kopf und Arme stark verkohlt, der Bauch klaffend wie ein Mund in einem Gemälde von Bacon. Die Pathologin zerschnitt eben eine Leber auf einem Tablett neben dem Tisch. Sie schwang ein großes, flaches Messer und sprach ohne aufzusehen.
»Un momento.«
Fereira musterte eingehend die präparierten Querschnitte, nahm dann drei Scheiben und legte sie in ein Probenglas. Das Gewebe sank zu Boden und legte sich zu seinen Gegenstücken aus Lunge, Magen, Milz, Nieren und Herz.
»Machen Sie bei jedem eine volle Autopsie?«
»Bei den Fahrgästen machen wir nur äußerliche Untersuchungen. Das hier ist der Fahrer.«
»Haben Sie ihn sich fürs große Finale aufgehoben?«
»Die meisten Opfer sind so schlimm verbrannt, dass wir nicht sicher sein konnten, wer wer ist. Haben ihn erst gestern gefunden.«
Fereira zog Maske und Handschuhe aus, wusch sich die Hände, ging zur Pendeltür und bedeutete mir, ihr zu folgen. Sie führte mich einen düsteren Korridor entlang in ein kleines fensterloses Büro und schloss die Tür. Dann öffnete sie einen zerbeulten Metallschrank und nahm einen großen braunen Umschlag heraus.
»Ein Radiologe im Hospital Centro Médico war mir noch einen Gefallen schuldig.« Sie sprach Englisch. »Den musste ich dafür einfordern.«
»Vielen Dank.«
»Hab den Schädel erst herausgeschmuggelt, als Lucas am Donnerstag schon weg war. Ich wollte nicht, dass er etwas mitbekommt.«
»Von mir erfährt keiner was.«
»Aber gut, dass ich es getan habe.«
»Wie meinen sie das?«
Fereira zog einen von mehreren großformatigen Filmbögen aus dem Umschlag. Darauf waren sechzehn CT-Aufnahmen zu sehen, von denen jede einen Fünf-Millimeter-Schnitt durch den Schädel aus dem Faultank darstellte. Sie hob einen Transparentfilm vor das Deckenlicht und deutete auf einen kleinen weißen Klecks im neunten Bild. Auf den folgenden Bildern vergrößerte sich die Trübung, änderte die Form und verkleinerte sich wieder. Im vierzehnten Bild war sie nicht mehr zu sehen.
»Ich entdeckte etwas im Siebbein, dachte, das könnte Sie weiterbringen. Nachdem Sie heute Morgen anriefen, wollte ich mir den Schädel noch einmal anschauen. Die Überreste waren verschwunden.«
»Wohin verschwunden?«
»Kremiert.«
»Nach nur einer Woche?« Ich war sprachlos.
Fereira nickte.
»Ist das üblich?«
»Wie Sie sehen können, haben wir Platzprobleme. Auch unter normalen Umständen können wir uns den Luxus nicht leisten, Unbekannte für längere Zeiträume aufzubewahren. Dieser Busunfall hat uns an die Kapazitätsgrenze gebracht.« Sie senkte die Stimme. »Aber eine Woche ist ungewöhnlich.«
»Wer hat das angeordnet?«
»Ich habe versucht, das herauszufinden. Aber niemand
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