Knochenlese: 5. Fall mit Tempe Brennan
Anruferin.«
»Ich mache mich sofort daran.«
Zurück in meinem Büro, rief ich Susanne Jean an. Weil sie nicht da war, hinterließ ich ihr eine Nachricht.
Als Nächstes brachte ich die Paraíso-Probe in die DNS-Abteilung. Gagné hörte sich meine Bitte an und klickte dabei abwesend mit einem Kugelschreiber.
»Interessante Frage.«
»Ja.«
»Habe noch nie eine Katze gemacht.«
»Könnte Ihre Chance sein, sich einen großen Namen zu machen.«
»König der Felinen Doppelhelix.«
»Ist eine Marktlücke.«
»Könnte das Projekt Felix Helix nennen.« Der Name der Comic-Katze klang auf Französisch merkwürdig.
Gagné griff nach Minos’ Plastikröhrchen. »Soll ich einen Teil der Probe zurückbehalten?«
»Sie können alles benutzen. Das Labor in Guatemala hat noch mehr.«
»Was dagegen, wenn ich ein bisschen herumspiele, ein paar Techniken ausprobiere?«
»Lassen Sie’s krachen.«
Wir unterzeichneten ein Beweismittel-Übergabe-Formular, und ich eilte in mein Büro zurück.
Bevor ich mich dem Kopf und dem Torso zuwandte, stöberte ich einige Minuten lang in dem Berg auf meinem Schreibtisch. Ich fand LaManches Antragsformulare, fischte die pinkfarbenen Telefonnachrichten heraus und schob den Rest beiseite. Ich hoffte auf irgendeine Botschaft von Ryan. Bienvenue. Willkommen zu Hause. Freut mich, dass du da bist. Hier war nichts los.
Detectives. Studenten. Journalisten. Ein Staatsanwalt hatte viermal angerufen.
Nichts von Ryan.
Toll. Ryan hatte seine Quellen. Sherlock wusste mit Sicherheit, dass ich zurück war.
Der Kopfschmerz pochte hinter meinem rechten Auge.
Ich ließ den Schreibtisch sein, schnappte mir die Demande d’Expertise -Formulare, zog einen Labormantel über und ging zur Tür. Ich war fast dort, als das Telefon klingelte.
Es war Dominique Specter.
»Il fait chaud.«
»Es ist wirklich warm«, stimmte ich ihr zu und überflog eins von LaManches Formularen.
»Angeblich könnte es heute einen Temperaturrekord geben.«
»Ja«, sagte ich abwesend. Der Schädel war in einem Koffer gefunden worden. LaManche registrierte stark abgenutzte Zähne und eine durch die Zunge gezogene Schnur.
»In der Stadt wirkt es ja immer so viel heißer. Ich hoffe, Sie haben eine Klimaanlage.«
»Ja«, antwortete ich, doch meine Gedanken kreisten um ein Thema, das längst nicht so harmlos war wie das Wetter.
»Sie sind beschäftigt?«
»Ich war fast drei Wochen weg.«
»Natürlich. Bitte entschuldigen Sie die Störung.« Sie schwieg kurz, was wohl Zerknirschtheit andeuten sollte. »Wir können Chantale um eins besuchen.«
»Wo ist sie?«
»In einem Polizeirevier an der Guy in der Nähe des Boulevard Lévesque.«
Sektion Süd. Das war nur ein paar Blocks von meiner Wohnung entfernt.
»Sollen wir Sie abholen?«
»Ich treffe Sie dort.«
Ich hatte kaum aufgelegt, als es schon wieder klingelte. Diesmal Susanne Jean. Sie sei den ganzen Vormittag mit Technikern von Volvo beschäftigt und habe mittags ein Treffen bei Bombardier, habe aber am Nachmittag Zeit für mich. Wir verabredeten uns für drei.
Dann ging ich ins Labor, legte eine Akte für jeden Fall an und überflog die Torsoanfrage. Männlicher Erwachsener. Arme, Beine und Kopf fehlten. Stadium fortgeschrittener Verwesung. Entdeckt in einem Abflusskanal am Lac des Deux-Montagnes. Leichenbeschauer: Leo Henry. Pathologe: Pierre LaManche. Ermittelnder Beamter: Lieutenant-détective Andrew Ryan, Sûreté du Québec.
So, so.
Die Überreste waren unten, also stieg ich in den Aufzug, zog meine Karte durch den Scanner und drückte den untersten der drei Knöpfe: LSJML. Leichenbeschauer. Leichenhalle.
Im Keller betrat ich einen weiteren Sperrbereich. Links führten Türen in Autopsieräume, von denen drei je einen Tisch enthielten, der größte aber zwei.
Durch das kleine Fenster in der Tür des mittleren Raums sah ich eine Frau in Chirurgengrün. Sie hatte lange, lockige, am Hinterkopf mit einer Spange zusammengehaltene Haare. Hübsch, großbusig, etwas über dreißig und immer zu einem Lächeln bereit, war Lisa der Liebling aller Mordermittler.
Sie war auch mein Liebling, weil sie es vorzog, Englisch zu sprechen.
Als sie die Tür hörte, drehte sie sich um und tat genau das.
»Guten Morgen. Ich dachte, Sie sind in Guatemala.«
»Ich fliege bald wieder zurück.«
»Urlaub?«
»Nicht unbedingt. Ich würde mir gern LaManches Torso anschauen.«
Sie verzog das Gesicht.
»Er ist erst vierundsechzig, Dr. Brennan.«
»Jeder ist ein
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