Knochenraub am Orinoko
Finger zeigte der Häuptling auf Humboldts Bündel.
»Was habt Ihr da drin?«
Humboldt wand sich, doch ihm fiel keine Antwortein. Da ballte der Indianer die Hand zur Faust und reckte sie drohend zum Himmel. Er stieß einen Schwall von Wörtern aus, von denen Pedro kein einziges verstand. Diesmal klang die Sprache der Indianer nicht melodisch wie das Plätschern von Wasser. Die Worte, die ihm über die Lippen kamen, klangen scharf, voll Angst und Zorn.
Auch die anderen Indianer fielen in das Geschrei mit ein. Sie schwangen drohend die Hände über ihren Köpfen, manche rauften sich verzweifelt die Haare oder schlugen sich mit beiden Händen auf die Brust.
»Meine Güte. Was ist denn in die gefahren?«, flüsterte Bonpland wie zu sich selbst und dann, an Humboldt gewandt: »Da haben Sie es, Baron! Er hat die Knochen natürlich gerochen. Ich wusste, dass das Ärger gibt!« Er stampfte wütend mit dem Fuß auf den Boden.
»Ah, immer mit der Ruhe!«, versuchte Humboldt ihn zu beschwichtigen, doch einen ruhigen Eindruck machte er selbst nicht, wie Pedro fand.
Plötzlich ertönten schrille Schreie über ihnen und alle starrten nach oben. Ein Geier segelte über ihre Köpfe hinweg. Sein Schatten glitt lautlos an der Felswand entlang.
»Gespenstisch«, hauchte Pedro, »die Schreie hören sich an wie ein Klagelied.«
»Die Seelen der Toten!«, flüsterte Abasi mit unterdrückter Stimme neben ihm.
»Tikitiki, Tikitiki«, schrie der Anführer und für einen Moment waren alle anderen vor Schreck wie gelähmt. Doch dann brüllten sie wild durcheinander, warfen immer wieder angsterfüllte Blicke zu dem Geier hoch, der über ihren Köpfen seine Runden drehte, und liefen unter lautem Geheul davon. Der Anführer drehte sich noch einmal zu Humboldt um und schrie: »Verflucht! Ihr seid verflucht! Das Volk der Guareka-Indianer wird sich rächen!« Und dann drehte auch er sich auf der Ferse um und entfernte sich barfüßig durch das dichte Buschwerk. Der Geier ließ noch einmal einen heiseren Schrei ertönen, dann schwebte er über dem Orinoko davon.
Es vergingen einige Sekunden, bis Bonpland als Erster die Sprache wiederfand: »Das war ja abzusehen!«
»Sie gehen mir mit Ihrer Schwarzseherei auf die Nerven!«, schimpfte Humboldt.
Pedro wagte es kaum, sich zu rühren, geschweige denn, etwas zu sagen. Er spähte hinüber zu Abasi, dem Schweißtropfen auf der Stirn standen. Derarme Kerl zitterte am ganzen Leib. »Was ist los mit dir, Abasi?«, fragte Pedro erschrocken.
Auch Bonpland wandte sich rasch dem Jungen zu und legte ihm den Arm um die Schultern. »Ganz ruhig, Abasi, dir wird nichts geschehen.« Für Humboldt hatte Bonpland nur einen vernichtenden Blick übrig. »Sehen Sie zu, wie Sie mit Ihrem Museumsschatz die Felswand runterkommen. Ich helfe Ihnen jedenfalls nicht dabei. Kommt, Jungs!«, sagte er an Abasi und Pedro gerichtet und ging zurück zur Felsklippe.
Die Spannung zwischen den beiden Männern war mit Händen zu greifen und Pedro befürchtete, dass er durch ein unüberlegtes Wort sogleich einen offenen Streit entfachen würde. Deshalb hütete er während des gesamten Abstieges wohlweislich seine Zunge.
Wie Bonpland es angekündigt hatte, ließen sie Humboldt die Knochenbündel alleine runterschleppen. Selbst Abasi half ihm nicht dabei. Er hatte viel zu große Angst vor den Totengeistern und würde einen Teufel tun, die Bündel auch nur flüchtig zu berühren. Flink wie ein Wiesel kletterte er die Felswand hinunter, damit er so schnell wie möglich diesen Ort des Grauens verlassen konnte. Pedro wardas nur recht, doch es stellte sich die Frage, wo sie überhaupt hingehen sollten? Von den Indianern war keine Spur mehr zu sehen. Sie waren allesamt fortgelaufen, vermutlich einige Kilometer flussaufwärts, in das Dorf der Guareka-Indianer, von denen der Anführer gesprochen hatte. Auf Humboldts Vorschlag hin ruderten sie auf die gegenüberliegende Seite des Flusses, um dort ihr Lager aufzuschlagen.
Die Nacht war hereingebrochen. Abasi hatte ein Feuer entzündet und Pedro hatte im letzten Tageslicht noch einige kleinere Fische geangelt, die er nun auf einem Stock aufgespießt über dem Feuer briet.
»Und wie sollen wir jetzt ohne Indianer unsere Reise fortsetzen?«, fragte Bonpland. Der größte Ärger war verflogen und beide Männer machten sich nun ihre Gedanken, wie es am nächsten Tag weitergehen sollte.
»Na ja, mit denen können wir wohl nicht mehr rechnen«, gab Humboldt kleinlaut zu. »Es ist vielleicht
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