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Knochenraub am Orinoko

Knochenraub am Orinoko

Titel: Knochenraub am Orinoko Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelie Kister
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beruhigen: »Abasi, wach auf! Du hast nur geträumt.« Schließlich verlor Humboldt die Geduld. Er versetzte Abasi eine schallende Ohrfeige, sodass dieser endlich zu sich kam.
    »Mir reicht’s!«, polterte Humboldt. »Wir brechen sofort auf. Die Jungen bekommen ja schon Albträume von dem Geschwätz des Paters!« Er warf einen bösen Blick zu dem Missionar hinüber, der schnarchend in seiner Hängematte lag. Bonpland rieb sich müde dieAugen. Abasis Geschrei und Humboldts Gezeter hatten ihn aufgeweckt.
    Es hatte schon zu dämmern begonnen. Die Vögel waren die Ersten, die ihre schrillen Pfiffe ertönen ließen. Daraufhin folgten die Brüllaffen und keiften, als würden sie sich lauthals über die frühe Störung beschweren. Kurz darauf ertönte aus den unterschiedlichsten Etagen der meterhohen Bäume ein Keckern, Pfeifen, Schreien und Krächzen, als wäre der ganze Wald in hellem Aufruhr. So still der Dschungel am Tage auch war, umso lauter war er in den Abend- und frühen Morgenstunden.
    Die Indianer brauchte Humboldt nicht zu wecken. Sie waren es gewohnt, weit vor Sonnenaufgang aufzustehen und Maniok, eine spezielle Wurzelknolle, zuzubereiten. Innerhalb weniger Minuten hatten sie ihre Sachen gepackt und im Langboot verstaut. Beim Abschied schüttelte Humboldt Don Ignacio freundlich die Hand und bedankte sich für die zuvorkommende Gastfreundschaft. Pedro hörte, wie der Jaguarjäger Humboldt und Bonpland erneut warnte und ihnen eindringlich davon abriet, sich der Höhle von Ataruipe zu nähern. Doch Humboldt ließ nur sein spöttisches Lächeln erkennen.
    Als die Indianer gleichmäßig vor sich hin ruderten,ging die Sonne über dem Wald auf. Die ersten Papageien drehten ihre Runden über dem Fluss. Pedro war müde, die Nacht war einfach zu kurz gewesen. Und so hörte er nur mit halbem Ohr zu, als Humboldt seine Pläne bekannt gab: »Natürlich werden wir uns diese Höhle anschauen. Das ist die Gelegenheit, etwas über die Geschichte alter Indianerstämme zu erfahren, und für meine Studien enorm wichtig.«
    »Ich weiß nicht«, gab Bonpland zu Bedenken. »So eine Grabstätte ist doch etwas Heiliges.«
    Doch Humboldt winkte mit einer genervten Bewegung ab.
    »Gestern hat mir Pater Zea noch erzählt, dass sich sechshundert Skelette in der Höhle befinden sollen«, erklärte Humboldt. »Es sind die Angehörigen des Volksstammes der Aturer   – Männer, Frauen, Greise und Kinder. Stellt euch das vor!« Er wirkte richtig aufgekratzt, selbst wenn keiner der anderen diese Aufregung mit ihm teilte. Pedro wusste, dass Humboldts Forschergeist nicht zu bremsen war. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnten Bonpland oder die Jungen noch so sehr protestieren. In solchen Momenten wurde alles so gemacht, wie der Baron es wünschte. Er nahm auch keine Notiz davon,dass Abasi sich ganz verängstigt in die äußerste Ecke des Bootes drückte.
    »Sie haben doch gehört, was Pater Zea und Don Ignacio gesagt haben!«, bemerkte Bonpland.
    Humboldt lachte. »Ja, ja, ich weiß. Sie glauben wohl auch, dass es dort spukt. Unter den Eingeborenen geht die Sage um, dass die Aturer damals von Kannibalen bedrängt wurden. Um sich zu retten, flüchteten sie auf die Klippen der Wasserfälle.«
    »Von Menschenfressern?«, entsetzte sich Pedro und starrte Humboldt aus großen Augen an.
    »Ja«, bestätigte der Baron. »Und glaubt man der Legende, so ist in kürzester Zeit der ganze Stamm der Arturer und mit ihm seine Sprache untergegangen.« Humboldt blickte aufgeregt von einem Gesicht zum anderen.
    Doch Bonpland entgegnete nur achselzuckend: »Dann sollten wir den Toten auch ihre ewige Ruhe gönnen!«
    »Eben nicht«, ereiferte sich Humboldt. »Wir werden nachher in die Höhle gehen und uns die Skelette anschauen.«
    Abasi schlug sich erschrocken die Hand vor den Mund und schüttelte energisch den Kopf: »Weißer Mann das nicht dürfen!«
    »Ach was, im Dienste der Wissenschaft
müssen
wir das geradezu tun!«
    »Ich weiß nicht«, gab Bonpland zu bedenken und blickte zu den rudernden Indianern hinüber. »Die Totenruhe zu stören   … nein, ich weiß nicht. Das ist ganz sicher nicht recht.«
    Aber Humboldt hatte sich mal wieder durchgesetzt, denn schon kurze Zeit später erklommen sie tatsächlich die steile Granitwand, die zur Höhle von Ataruipe führte. Sie lag nämlich oberhalb des Flusses auf einer Felsenkuppe.
    »So ein Wagnis!«, fluchte Bonpland. »Ich sehe es schon kommen, dass gleich einer abstürzt.« Er versuchte gerade,

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