Knochenzeichen
Schlag ins Gesicht. Er hätte etwas Besseres für dich gewollt. Dass du dich nicht in die schäbigste Seite des Daseins vertiefen musst …«
»Das weißt du nicht.« Caits Stimme klang angespannt. Manchmal fragte sie sich, ob Lydias Erinnerung an Gregory Fleming eigentlich ebenso unscharf war wie ihre eigene. Zumindest kam diese Unschärfe ihrer Mutter gelegen, da sie seinen Namen benutzte, um jedes Argument zu untermauern, an dem ihr gerade gelegen war. »Und ich bin keine Streifenpolizistin, also bin ich nicht direkt in seine Fußstapfen getreten.«
Das Geräusch, das Lydia machte, war verdächtig nahe an einem verächtlichen Schnauben. »Treib keine Haarspaltereien mit mir, wir wissen beide, wie du da gelandet bist, wo du jetzt stehst. Wenn du nicht alles hingeworfen hättest, um aufs College zu rennen, wärst du inzwischen weiß Gott wo. Du warst auf dem besten Weg nach ganz oben.«
Ihre Mutter täuschte sich. Blind starrte Cait ihr Ebenbild im Spiegel an. Sie wusste ganz genau, wo sie jetzt wäre und was aus ihr hätte werden können, wenn sie sich Lydia nicht widersetzt, ein für allemal mit dem Modeln aufgehört hätte und ans College gegangen wäre. Es hatte eine Reihe hässlicher Szenen gegeben, unter anderem hatte Cait einen Anwalt engagieren müssen, um ihrer Mutter die Kontrolle über das von ihr verdiente Geld zu entziehen. In der Zeit ihrer Entfremdung hatte Lydia zweimal geheiratet und sich zweimal scheiden lassen. Die Ehemänner hatten sie zumindest von ihrer Konzentration auf ihre Tochter abgelenkt. Wenn sie Henri heiratete, würde das vermutlich wieder der Fall sein.
»Überleg’s dir einfach mal.« Die Stimme ihrer Mutter nahm einen ungewohnt flehenden Ton an. »Das könnte nicht nur für dich gut sein, sondern würde auch mich wieder in der Branche etablieren. Ich habe dich doch phänomenal gemanagt, Caitlin. Es spricht nichts dagegen, dass ich nicht auch andere Klienten annehmen könnte. Aber momentan bin ich schon zu lange weg von der Szene. Nicht dass ich verlange, dass du das für mich tust. Was ich für dich getan habe, habe ich aus Liebe getan. Du bist mir nichts schuldig, Schätzchen, und ich will nicht, dass du glaubst, ich würde etwas anderes behaupten.«
Es kam noch mehr, doch Cait hörte gar nicht mehr hin. Natürlich meinte Lydia genau das Gegenteil. Es hatte noch keinen Moment gegeben, in dem Cait nicht darauf hingewiesen worden wäre, was für eine Last es für ihre Mutter gewesen war, sie allein aufzuziehen. Wie viel sie geopfert hatte, damit Cait von der ersten Agentur, dem ersten Art Director registriert wurde. Was sie alles aufgegeben hatte, um mit ihr zu Fototerminen zu reisen und persönliche Trainer und Schauspiellehrer für sie zu engagieren.
Und vor allem, wie sehr sich ihr Vater das alles für sie gewünscht hätte.
Die Worte überrollten sie in einer öden Litanei, die Cait schon tausendmal gehört hatte. Wie »diese unglückliche Situation« – Lydias heuchlerische Umschreibung für das lange Gerichtsverfahren und ihre daraus folgende Entfremdung – ihre Chancen zerstört habe, ihre erfolgreiche Karriere als Talentmanagerin fortzusetzen. Egal nach welcher Definition, das war ganz schön weit hergeholt, da Cait stets die einzige Klientin ihrer Mutter gewesen war.
»Auch wenn du den Duran-Job nicht kriegst, könnten wir dich wieder ins Gespräch bringen. Cee Cee würde dich sofort wieder nehmen. Du hast doch auf deine Haut geachtet, oder? Als ich dich das letzte Mal gesehen habe, hätte ich schwören können, du hast deine Feuchtigkeitspflege eine halbe Ewigkeit nicht …«
»Nein, Mutter.« Der Stahl in ihrer Stimme kam trotz des hämmernden Schmerzes in ihren Schläfen. »Ich habe diese Welt vor über fünfzehn Jahren verlassen und habe nicht die leiseste Absicht, je zurückzukehren. Cee Cee kann dir bestimmt für den Anfang ein oder zwei Klientinnen besorgen, wenn du wieder ins Talentmanagement einsteigen willst.« Eine Tatsache, die sich Cait kaum vorstellen konnte, aber das war hier nicht der Hauptpunkt. »Ich will nichts mehr davon hören. Und wenn du mich jetzt bitte entschuldigen würdest, ich hatte einen langen Tag und muss morgen früh raus. Wir reden ein andermal.« Langjährige Übung ließ sie das Telefonat ohne weitere Umschweife abbrechen. Eine richtige Verabschiedung hätte weitere fünfzehn Minuten nach sich gezogen, in denen Lydias Tonfall von Flehen zu eiskalter Wut übergegangen wäre. Es war besser, sie jetzt gleich zu verärgern statt
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