Knochenzeichen
zerrütten.
»Ach, und du kommst nie drauf, wer mich angerufen hat. Cee Cee Walker! Natürlich hat sie nach dir gefragt, als wir bei ein paar Drinks im Ritz-Carlton Neuigkeiten ausgetauscht haben.«
Der Name ließ eine böse Vorahnung in Caits Magengrube aufwallen. Sie richtete sich auf und reckte den Hals, um auf die Uhr sehen zu können. Es waren erst zehneinhalb Minuten verstrichen. Verdammt. »Wie geht es ihr?«, fragte sie mit wenig Begeisterung.
»Tja, sie sieht sagenhaft aus. Natürlich hat sie was machen lassen, das steht fest, aber der Chirurg war sehr diskret.« Lydia sprach aus Erfahrung, nachdem sie im Lauf der Jahre auch so einiges hatte machen lassen.
Jedes Mal, wenn Cait sie sah, war etwas anderes geliftet oder geglättet worden. Im Kampf gegen die Schwerkraft war Lydia die einsame Meisterin.
»Sie hat mir etwas erzählt, was ich sehr interessant fand.« Lydia senkte verschwörerisch die Stimme, als würde ein Lauscher dieses Gespräch auch nur ansatzweise spannend finden. »Duran Cosmetics hat diese schreckliche Giselle Hammenstein als Gesicht ihrer Produkte fallen lassen, und sie suchen jetzt ganz gezielt jemand Neues. Cee Cee hat gesagt, sie hätte ihnen mehrere Portfolios von Models aus ihrer Agentur zugesandt, doch angeblich halten sie Ausschau nach einem reiferen Look.«
Bitte nicht heute. Cait ließ den Kopf sinken und rieb an ihren schmerzenden Schläfen. Nach einem ganzen Tag voller verbaler Scharmützel mit Sharper konnte sie dieses Gespräch absolut nicht mehr verkraften.
»Natürlich hab ich gleich an dich gedacht. Wenn du einen so großen Vertrag an Land ziehen könntest, müsstest du dir den Weg zurück nach oben nicht auf die harte Tour erarbeiten, sondern würdest auf einen Schlag groß herauskommen, Schätzchen! Erinnerst du dich denn nicht mehr an den Glamour deines alten Lebens? Fehlt es dir nicht?«
»Wie ein Ziegelstein auf den Kopf«, murmelte Cait.
»Was?«
»Nein, Mutter«, sagte Cait deutlich und rang um Geduld. »Ich vermisse es nicht. Ich hab es nie vermisst. Ich habe einen Beruf, und den finde ich wesentlich faszinierender, als das Modeln es je war. Ich komme nicht zurück. Ich dachte, diese Debatte hätten wir schon vor Jahren beendet.« Sie hatte geglaubt, mit jedem Jahr, das verstrich, weiter auf die sichere Seite zu gelangen. Modeln war ein Beruf für junge Frauen. Und obwohl Cait mit ihren fünfunddreißig kaum reif für den Rollstuhl war, hatte sie das beste Alter für Topmodels in der Modebranche längst überschritten.
Natürlich sprach Lydia nicht von der Modebranche. Ein Punkt, für dessen penible Erläuterung sie weitere sechseinhalb Minuten brauchte, wobei sie ein lächerlich surreales Bild von Caits früherem Beruf zeichnete, das nur wenig mit der Realität gemein hatte.
Cait nutzte die Zeit, um in ihrer Handtasche nach Schmerztabletten zu suchen, da ihre Kopfschmerzen mittlerweile mit der Heftigkeit eines Elektrobohrers auf sie einhämmerten. Als sie nichts fand, versuchte sie es in ihrem Kulturbeutel und atmete erleichtert auf, als sie noch zwei Tabletten in dem Fläschchen entdeckte. Das ins Glas laufende Wasser, mit dem sie die Tabletten hinunterspülen wollte, übertönte mit seinem Geräusch beinahe, beinahe , die Stimme ihrer Mutter in ihrem Ohr.
»… und denk nur an die vielen Reisen! Wann warst du eigentlich das letzte Mal in Europa, Caitlin? Du machst dir keinen Begriff, wie sehr es sich verändert hat, seit …«
Offenbar hatte Lydia die Zumutungen des Reisens bereits vergessen, die sie im ersten Teil des Gesprächs so ausführlich vor ihr ausgebreitet hatte. Caitlin schluckte die Tabletten und schlurfte wieder ins Zimmer zurück, wobei sie erneut einen Blick auf den Wecker am Nachttisch warf. Siebzehn Minuten. Mehr als lange genug, um als höfliches Gespräch durchzugehen. Als ihre Mutter keine Anstalten machte, langsam zum Ende zu kommen, rechnete sie noch einmal nach. Vielleicht ein bisschen noch. Aber hielt sie das noch zwei Minuten länger aus?
Die unausgesprochene Frage wurde in den nächsten paar Sekunden abrupt beantwortet.
»… das Leben, das sich dein Vater für dich gewünscht hätte. Er hätte nie gewollt, dass du in dieser hässlichen Welt endest, Caitlin. Und die Dinge zu sehen bekommst, die er Tag für Tag gesehen hat. Die endlosen Stunden, die er fern von seiner Familie verbracht hat. Der Beruf, der ihn in den Tod getrieben hat, Caitlin. In seine Fußstapfen zu treten ist keine Ehrung seines Andenkens, sondern ein
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