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Knockemstiff (German Edition)

Knockemstiff (German Edition)

Titel: Knockemstiff (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donald Ray Pollock
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letzten Herbst mit nach Hause gebracht hatte, half ich bei Alberts Pflege. Jeden Morgen bevor Mary Alberts erste Flasche Wein aufschraubte, ging ich hinüber, rasierte und wusch den Alten und wechselte ihm die Windeln. Es war alles eine Frage des Timings: Wenn Albert sein Frühstück nicht bis zehn Uhr gekriegt hatte, sah er tote Soldaten an Fallschirmen im Apfelbaum vor seinem Fenster baumeln. Ich musste also früh aufstehen, aber ich dachte, wenn ich den alten Mann gut behandelte, würde mir das irgendwer später vielleicht mal zugutehalten. Ich stand auf und sah zur Uhr, die auf der Kommode stand.
    Ich zog meine Jeans an und warf einen Blick auf Sandys Bleistiftzeichnungen, die auf dem Boden verstreut lagen. Ständig arbeitete sie an einem Bild des
Idealen Freundes
. Manchmal kochte sie sich Ice auf und schloss sich im Zimmer ein, blieb zwei, drei Nächte lang drauf und übte einzelne Körperteile. Bögenweise lag ihre Fantasie unterm Bett. Nicht ein einziges verdammtes Bild sah mir ähnlich, aber ich schätze, dafür sollte ich dankbar sein. Jeder einzelne Ideale Freund hatte den gleichen winzigen Kopf und die gleichen Kanonenkugelschultern. Irgendwann kam sie dann immer mit Blasen an den Fingern und Ausschlag um den Mund aus dem Zimmer gekrochen. Der Ausschlag kam vom Shit.
    Kaum war ich ins Zimmer gekommen, schmatzte Albert mit seinen aufgesprungenen weißen Lippen. Abgesehen von einem Dauerzittern in der linken Hand war er von der Brust abwärts tot wie Jesus. Mary war wieder im Wohnzimmer verschwunden, hatte aber eine Schüssel warmes Wasser und ein dünnes Handtuch auf dem Tischchen neben dem Krankenbett gelassen. Auf der Kommode stand eine Dose Rasierschaum, daneben lag ein Rasiermesser. Ich seifte Albert ein und zündete mir eine Zigarette an, um meine Nerven zu beruhigen. Ich sah mir die Landkarte aus Adern auf seiner roten Nase an, und Albert grinste durch den Schaum hindurch.
    Als ich gerade anfing, seinen Hals zu schaben, eilte Mary mit einer Flasche Wild Irish Rose herein. Kaum hatten Alberts Augen den Wein erspäht, fing sein Kopf an zu zittern. »Es ist gleich zehn, Tom«, keuchte Mary. »Bist du fertig?«
    »Fast«, antwortete ich und schnippte etwas Asche zu Boden. »Vielleicht geben Sie ihm schon mal einen Schluck. Er hüpft derart herum, ich schneide ihn noch.«
    Mary schüttelte den Kopf. »Erst um zehn«, sagte sie unnachgiebig. »Wenn wir damit einmal anfangen, wird es nur immer früher. Er macht mich ja jetzt schon völlig fertig.«
    »Ich muss ihm aber noch die Windeln wechseln«, beharrte ich und drückte meine Hand gegen seine schweißige Stirn, um ihn ruhig zu halten. »Und was ist mit seiner Medizin? Vielleicht sollten Sie es mal damit versuchen.«
    »Das hier ist seine Medizin«, erklärte Mary und wedelte mit der Flasche herum. »Herrgott, ohne die macht er es keinen Tag mehr.« Eine Schublade des Nachttischs war voller Pillen, aber in all den Monaten, die ich nun schon hier war, war ich der Einzige, der etwas von dem nahm, was ihm der Arzt verschrieb.
    Ich rasierte Albert fertig, dann wusch ich ihm das Gesicht mit einem feuchten Waschlappen und fuhr mit dem Kamm durch sein dünnes graues Haar. Ich zog die kratzige Decke beiseite und sagte: »Bist du so weit, Partner?« Albert verzog das Gesicht bei dem Versuch, ein paar verstümmelte Wörter auszuspucken, dann gab er auf und nickte. Der alte Mann hasste es, wenn ich ihn wickelte, aber immer noch besser, als den ganzen Tag im eigenen Dreck zu liegen. Ich öffnete die Papierwindel, holte tief Luft, hob mit der einen Hand seine knochigen Beine an und zog die Windel mit der anderen heraus. Sie war mit braunem klebrigem Zeug durchtränkt. Ich warf sie in den Müll und wischte ihm den Hintern mit dem Waschlappen ab. Dann nahm ich eine frische Windel aus der Schachtel, die auf dem Boden stand, und band sie ihm um. Als ich fertig war, weinte er schon wieder.
    Kaum hatte ich ihn wieder zugedeckt, machte Mary die Flasche auf und reichte sie mir. Ich steckte einen Strohhalm in den Flaschenhals und schob Albert die Spitze in den Mund. Auf der Wanduhr war es 9.56 Uhr. Noch vier Minuten, und er wäre wieder in Korea gewesen. Ich hielt die Flasche fest und rauchte noch eine, während der alte Mann sein Frühstück verputzte. Sandys hohe, jaulende Stimme drang vom Flur in das Krankenzimmer. Sie sang ihr Lied von dem blauen Vogel, der ein roter Vogel sein wollte. »Wo wart ihr denn gestern Abend?« fragte Mary.
    »Hap’s«, antwortete ich und

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