Knockemstiff (German Edition)
zu Weihnachten geschenkt hatte, durchschnitt die abgestandene Luft. Marys Augen umwölkten sich vor Sorge, aber sie hatte keine Wahl. Sie war schon seit Ewigkeiten nicht mehr den Hügel hinuntergegangen, und sie konnte nicht ohne ihre Zigaretten sein. Ich zog meinen Mantel an und folgte ihrer Tochter hinaus in die Winterdunkelheit. Das war das erste Mal, dass wir an diesem Tag vor die Tür kamen. »So müssen sich Vampire vorkommen«, sagte ich und sah durch die kahlen Äste der Bäume zu den Sternen hinauf.
»Hä?« machte Sandy und stapfte vor mir den Hügel hinunter.
»Langsam«, sagte ich. Der Schotter war dort, wo die Autos den Schnee festgefahren hatten, vereist. »Wozu die Eile?«
»Ich hab Durst«, sagte sie.
»Mädchen, ich hab kein Geld.«
Sie drehte sich um, zog den Zwanziger aus der Tasche und wedelte mir damit vor der Nase herum. »Ich schon«, sagte sie lachend.
»Findest du nicht, wir sollten deiner Mom die Zigaretten kaufen?«
»Mach dir darüber keine Gedanken«, erklärte sie. »Die raucht sowieso zu viel.«
Ich wusste die ganze Zeit, dass wir nicht lange zusammenbleiben würden, trotzdem wurde mir flau, als ich im Hap’s vom Klo kam und Sandy verschwunden war. Wir hatten ein paar Stunden lang das billigste Bier getrunken und uns ihre Lieblingssongs von Phil Collins angehört. Ich ging hinaus und suchte auf dem Parkplatz nach ihr, dann ging ich wieder hinein und setzte mich neben Porter Watson an die Bar. »Hast du gesehen, wohin Sandy gegangen ist?« fragte ich Wanda, die Kellnerin. Mir bebte die Stimme, und ich zündete mit zitternden Händen meine letzte Zigarette an.
Wanda stellte das nächste Glas Bier vor mich hin. »Du warst gerade im Klo verschwunden, da ist sie mit diesem Holzfäller zur Tür raus«, antwortete sie. »Verdammt, die haben sich vom ersten Moment an beäugt, als ihr hier hereingekommen seid.«
»Der Ideale Freund«, murmelte ich.
»Der Idi was?« fragte Porter und drehte sich zu mir um. Sein buschiger Bart roch nach Magensäure.
»Ach, nichts«, sagte ich und starrte mein Bierglas an. Ich wollte es schon nehmen, doch dann schob ich es zu Wanda zurück. »Ich hab kein Geld«, erklärte ich.
»Ich hab’s aber schon eingeschenkt«, sagte Wanda nur.
»Ich zahle«, sagte Porter und warf einen Fünfer auf die Theke.
Also saß ich bis zum Schankschluss da, trank auf Porters Kosten und hörte zu, wie er immer weiter über Eules Auto sprach. Wenn man ihn das erste Mal darüber reden hörte, hätte man glauben können, er sei vollkommen durchgeknallt, aber eigentlich versuchte er nur, sich an irgendetwas zu hängen, was seine Tage ausfüllte, sodass er nicht darüber nachdenken musste, was für eine Scheiße er aus seinem Leben gemacht hatte. Das gilt doch für die meisten von uns; unser Leben zu vergessen ist das Beste, was wir zustande bringen.
»Ich würde trotzdem gern wissen, wo der Wagen herkommt«, sagte ich, nur um ihm zu signalisieren, dass ich noch zuhörte.
»Herkommt?« meinte Porter verächtlich. »Mann, das Auto ist doch Teil der Landschaft. Die reinste Natur, verdammt.«
»Nein«, entgegnete ich, »ich meine, was glaubst du, wie ist er da hingekommen?«
»Er ist da gelandet.«
»Gelandet?« Ich sah ihn an. Seine blutunterlaufenen Augen starrten in den welligen Spiegel hinter der Theke. »Du meinst …«
»Ja, verdammt! Und wir sind verdammte Glückspilze«, fügte er hinzu, und tief in seiner Kehle löste sich ein kurzer Schluchzer.
Ein paar Minuten später rief Wanda: »Letzte Bestellung!« Ich sah auf die Miller-Beer-Uhr über der Tür. Eins. Dann fielen mir die Zigaretten der alten Dame ein. Ich konnte ja nicht ohne ein paar Marlboros zurück zum Haus. Verdammt, wahrscheinlich ließ sie mich gar nicht rein. Ich wartete, bis Wanda das Licht aus- und anschaltete, dann pumpte ich Porter um Geld für eine Schachtel an. Ich hoffte, das würde Mary bis zum Morgen besänftigen.
»Letzte Bestellung!« rief Wanda wieder, als ich acht Vierteldollarmünzen in den Zigarettenautomaten warf.
Als ich schließlich wieder bei Sandys Haus war, fiel noch immer der graue Schein des Fernsehers durch die Lagen Plastik, die vor die Fensterscheiben getackert waren. Ich klopfte an die Tür und sah durch das Glas, wie Mary sich aus dem Fernsehsessel mühte und langsam das Zimmer durchquerte. Ihr flauschiger blauer Morgenmantel umfasste ihren Leib wie ein Kokon. Die Taschen wurden von alten Kleenex ausgebeult. Sie zog die Tür auf und sah an mir vorbei in die
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