Knockemstiff (German Edition)
wischte einen Tropfen Wein von Alberts Kinn.
»Hätt’ ich mir ja denken können«, sagte sie und ging hinaus. Außer Hap’s Bar gab es nur noch Maude Speakmans Laden in Knockemstiff. Selbst die Kirche sah schweren Zeiten entgegen. Niemand war noch ortsverbunden genug. Alle wollten in der Stadt arbeiten und in der Papiermühle oder der Plastikfabrik das große Geld verdienen. Lieber kauften sie in Meade ein und gingen dort beten, denn die Preise waren da niedriger und die Kirchen größer. Nur eine Frage der Zeit, bis Hap Collins seine Schanklizenz an den Meistbietenden verkaufen und das einzig Gute schließen würde, was es in der Senke noch gab.
Nachdem Albert eingenickt war, trank ich den letzten Schluck, den er in der Flasche gelassen hatte, ging in die Küche und goss mir eine Tasse Kaffee ein. Aus dem Hinterfenster konnte ich ganz Knockemstiff überblicken. Es hatte in der Nacht ein wenig geschneit, und Rauch stieg aus den Schornsteinen der Shotgun-Häuser und roststreifigen Trailer auf, die entlang der Schotterstraße verstreut standen. Ich aß ein Stück kalten Toast und sah, wie Porter Watson bei Maude tankte, dann in seiner vollen Tarnmontur über den Parkplatz stolperte und im Laden verschwand.
Am anderen Ende der Senke konnte ich gerade noch die frostige Nase von Eules Auto erkennen, die aus der Hügelflanke gegenüber von Hap’s Bar ragte. Es handelte sich um einen herrenlosen 66er Chrysler Newport, aber hier in der Gegend sagten alle nur: Eules Karre, Eules Burg, Eules dies, Eules das. Keiner wusste, wem der Wagen eigentlich gehörte, aber Porter Watson sorgte dafür, dass niemand im ganzen verdammten County jemals die Schreie der Eule vergaß, die im Sommer, nachdem der Wagen mit fehlenden Nummernschildern und kaputtem Motor plötzlich auf halber Höhe des Hügels stand, auf dem Vordersitz gebrütet hatte. So wie Porter über den blöden Vogel sprach, hätte man meinen können, sie wären verwandt.
Ich spülte meine Tasse aus, ging ins Wohnzimmer und ließ mich auf der durchgesessenen Couch nieder. Aus alten Kalendern gerissene Landschaftsbilder hingen an den Wänden wie Fenster in andere Welten. Überall lagen Reisehandbücher von AAA herum. Mary hatte zwar nie einen Wagen besessen, aber sie hatte für jeden Bundesstaat ein Buch. Andauernd tat sie so, als plante sie eine Reise.
»Sie ist verrückt«, hatte Sandy mir in der ersten Nacht gesagt, als ich mit ihr nach Hause gegangen war. Wir hatten gerade gevögelt, lagen im Bett und tranken unser letztes Bier. »Neulich hat sie mir in der Früh einen verdammten Stein ins Bett gelegt und behauptet, den hätte sie am Grand Canyon gefunden. Faselte was von einem besonderen Geschenk.«
»Und?« fragte ich.
»Und? Ich hab gesehen, wie sie ihn von der Einfahrt weggenommen hat. Verdammt, die alte Kuh ist noch nie außerhalb von Ohio gewesen, Tom.«
Ich hielt den Mund und nuckelte den letzten Rest Schaum aus der Flasche. Meine Frau hatte mich endgültig rausgeschmissen, und ich brauchte dringend eine Bleibe.
»Und überhaupt«, fuhr Sandy fort und ging ins Bad, »was für eine Art Geschenk soll das denn sein, so ein alter dreckiger Stein?«
Den ganzen verschneiten Tag über sahen wir fern, rauchten, tranken schwachen Kaffee und aßen Käsecracker aus der Schachtel. Das Haus stand oben am Hügel, deshalb bekam der Fernseher vier Kanäle rein. Irgendwas lief immer. Nur manchmal wünschte ich mir Kabelfernsehen. Während der Werbung arbeitete Sandy an einem weiteren Bild des Idealen Freundes, und Mary blätterte durch einen Florida-Reiseführer. Immer mal wieder stand ich auf, sah nach Albert und ließ ihn Wein trinken, um den Krieg fernzuhalten.
Kurz nach Sonnenuntergang fiel Mary auf, dass ihr die Zigaretten ausgegangen waren. Ich sah aus dem Augenwinkel, wie sie Schubladen durchwühlte und unter den Polstern nachsah. Schließlich richtete sie sich auf, redete mit sich selbst und ging den Flur entlang. Als sie zurückkam, hielt sie einen zerknüllten Zwanziger vor sich hin und bat uns, ihr doch eine Stange kaufen zu gehen. Sandy schnappte sich das Geld, sprang auf und rannte in ihr Zimmer. »Der Laden macht gleich zu«, rief Mary. »Du musst dich doch nicht groß herrichten, nur um zu Maude zu gehen.«
Ich wusste, es würde Ärger geben, als Sandy wieder ins Wohnzimmer stolziert kam. Sie hatte Lippenstift aufgelegt und trug ihre engste Jeans, außerdem hatte sie sich das Mäusenest aus den Haaren gekämmt. Der bittere Duft des Parfums, das ich ihr
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