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Knockemstiff (German Edition)

Knockemstiff (German Edition)

Titel: Knockemstiff (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donald Ray Pollock
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sagte: »Honey, schau mal nach dem Jungen, okay?«
    Sharon stöhnte und drehte sich um. Es war zwar dunkel im Auto, aber sie glaubte zu erkennen, dass eins von Jimmys Augen offen stand und sie wie eine glänzende Münze anstarrte. Sie beugte sich über den Vordersitz und machte ihr Feuerzeug an. Seine Augen flatterten. So etwas hatte sie noch nie gesehen. »Was war denn in der Flasche?« fragte sie.
    »Dasselbe wie letztes Mal«, antwortete Tante Joan. »Die Percocet von der alten Mrs. Marsh.«
    »Also, seine bescheuerten Augen sind jedenfalls offen«, erklärte Sharon.
    »Und macht er noch was anderes? Rührt er sich?«
    »Nein, aber die verdammten Augen sind offen.«
    Tante Joan schwieg einen Augenblick. »Halt mal dein Feuerzeug an ihn.«
    »Bist du verrückt?«
    »Du sollst ihn ja nicht in Brand stecken. Nur mal sehen, ob er zuckt, mehr nicht.«
    Sharon besah sich Jimmy noch mal genauer, ließ sich in ihren Sitz fallen und sagte: »Tante Joan, das mach ich nicht.« Das Klappern unter der Motorhaube beruhigte sich ein wenig, und Sharon versuchte, sich zu entspannen. Sie ließ den Kopf nach hinten sinken und schaute den hin und her fahrenden Scheibenwischern zu.
    Als die Augen ihres Großvaters bei all dem Zucker schließlich den Dienst quittierten und er nicht mehr genug sehen konnte, um noch Auto zu fahren, war er nach Hause zurückgekehrt. Er kam auf seinen verrottenden Beinen ins Haus gehumpelt, gab der Tochter einen Kuss auf die Wange und reichte ihr beide Wagenschlüssel. »Joanie, das ist ein gutes Auto«, sagte er. »Pass gut darauf auf.« John Grubb hatte seine jüngste Tochter stets so eng an sich gebunden, dass die Leute in der Senke sich allerlei erzählten, und als Edna ums Leben gekommen war, wurden die Gerüchte noch schlimmer. Während Joan eines Tages Kartoffeln schälte, schlich er sich auf die Veranda und pustete sich mit der .45er ein Loch hinters Ohr. Joan war dreiundvierzig und hatte noch nie eine Verabredung gehabt.
    Sie bogen vom Highway in Richtung Black Run ab, der sie zurück zur Senke führen würde. »Muss ich dir helfen, ihn reinzutragen?« fragte Sharon.
    Tante Joan rieb sich das Kinn und stellte die Heizung niedriger. »Nein, schätze nicht«, sagte sie. »Du hast schon genug getan.«
    Zehn Minuten später hielt sie vor Sharons Haus. Sie konnten Dean im Vorderzimmer auf und ab gehen und die Fäuste in die Luft recken sehen. Alle Lichter brannten. Es sah aus, als würden dort hundert Leute wohnen. Die Fernsehantenne lag in Stücke geschlagen auf der schlammigen Zufahrt verteilt. »Wo sind denn deine Vorhänge?« fragte Tante Joan.
    »Ich habe nicht die leiseste Ahnung, verdammt«, antwortete Sharon benommen. Es war vier Uhr früh, und Dean tobte schon, seit es am Nachmittag des Vortages zu regnen begonnen hatte. Er war bei Ärzten in ganz Ohio gewesen, aber niemand konnte erklären, warum ihn Regen so wahnsinnig machte.
    »Eines Tages wirst du mal was wegen dem Kerl unternehmen müssen«, sagte Tante Joan. »Sonst tut er bei einem seiner Anfälle noch jemandem weh.«
    Sharon rollte mit den Augen. Zumindest hatte sie einen Mann. »Der letzte Arzt hat uns gesagt, wir sollen in die Wüste ziehen«, sagte sie und beobachtete Dean durchs Fenster.
    »Wüste?« fragte Tante Joan. »So mit Kamelen und Scheichs und so?«
    »Nein, so wie in Arizona.«
    »Ach.« Tante Joan machte ein ernstes Gesicht. Sie streckte die Hand aus, nahm die ihrer Nichte und drückte sie. »Sharon«, sagte sie und sah ihr in die Augen, »Dean ist es nicht wert, dass du wegziehst, hörst du?« Sie drehte sich um und sah zum Haus hinüber. »Wenn du ihn irgendwann nicht mehr bändigen kannst, kümmern wir uns darum, hast du verstanden?«
    Tante Joan schlug andauernd solche Dinge vor wie sich von Dean scheiden zu lassen oder ihn in ein Pflegeheim zu stecken. Ihre Ratschläge anhören zu müssen machte meist alles nur noch schlimmer. Doch in dieser Nacht, während sie Jimmys feuchtes Röcheln auf dem Rücksitz hörte, dachte Sharon an die anderen Männer, die sie in die Senke verschleppt hatten, und fragte sich, warum Tante Joan nie von ihnen sprach.
    Tante Joan zuckte mit den Schultern. »Ich will damit nur sagen, dass ich in keiner Wüste leben möchte.«
    Sharon stieg aus. »Keine Sorge, das hat der Arzt nur so gesagt.«
    »Hier, nimm«, sagte Tante Joan und reichte ihr die Schachtel mit den Doughnuts.
    »Ich dachte, du hättest immer Lust auf Süßes.«
    »Hab ich auch«, kicherte Joan. Sie drehte sich um und schaute

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