Knuddelmuddel
Platanen, an deren Stämmen sich die Rinde abschält, spenden Schatten. Ein früherer Besitzer hat aus allen portugiesischen Kolonien Pflanzen heranschaffen und einpflanzen lassen. Jetzt sind sie groß und alt und es ist ein verwunschener Garten, eine Art gepflegter Dschungel. Ein Garten Eden auf Erden sei Sintra, hat Byron geschrieben. Recht hat er.
An einem Ende des Parks, unter einem großen Baum, dessen Stamm wie Wurzeln über der Erde aussieht und dessen Krone weit in den Himmel reicht, ein Brunnen. Ein steinerner Brunnen, mit einer Figur halb Mensch halb Tier, aus deren offenem Mund Wasser läuft. Eine Ackerwinde, deren lila Blüten dabei sind, den Stein zu umarmen, aber wenn sie so weiterwächst, wird sie ihn verschlingen.
„ Da bist du“, sagt Tom. „Ich habe dich überall gesucht. Es fängt an.“
Die Hochzeit findet in der Mitte des Parks statt. Es sind etwa hundert Gäste, ein paar kenne ich, es sind Freunde von João, die aber nie wirklich meine Freunde geworden sind, auch wenn wir ein paar Mal zusammen essen waren. Aber die meisten Gäste kenne ich nicht. Eine Mischung aus alt und jung. Ein paar Kinder rennen durch den Park. Ein Baby schreit und wird von seinen Eltern beruhigt, die sich gemeinsam über das schreiende Bündel beugen. Eine Gemurmel aus portugiesisch und amerikanisch liegt über dem Park, dann kommt das Brautpaar. Und es versetzt mir einen Stich.
Das habe ich nicht erwartet.
Das Brautpaar schon. Ich weiß natürlich, dass João hier und heute seine Vivian heiratet. Aber dass es so weh verdammt tun würde, João wiederzusehen, damit habe ich nicht gerechnet. Es ist mehr als sein Aussehen. Ich kann mich nur mit Mühe davon abhalten, auf ihn zuzugehen. Ihn zu umarmen. Ihm nahe zu sein. Er ist so attraktiv, dass es mir körperlich weh tut. Es ist wie ein Schlag in den Magen. Wie vertraut er mir ist. Sein Gang. Seine Gesten. Sein Lachen. Mir wird schlecht. Ich habe Mühe zu atmen. Was tue ich mir hier an, warum bin ich bloß auf diese bescheuerte Hochzeit gegangen. Warum habe ich die Einladung nicht einfach ignoriert. Oder verbrannt. Oder in den Tejo geworfen. Oder erst verbrannt und dann die Asche in den Tejo geworfen.
Die Einladung, die João mir in einem weißen Umschlag vor die Tür gelegt hat, weil er sie mir anscheinend persönlich geben wollte. Als ob es das irgendwie besser machen würde. Ich hätte diese Einladung schlicht und einfach ignorieren sollen.
Aber nein – ich musste ja zu dieser Hochzeit gehen.
Bist du sicher, dass es das ist, was du willst?, hat Tom mich ein paar Mal gefragt. Wir müssen da nicht hingehen. Du mußt da nicht hingehen. Und ich habe gesagt, aber klar, ja, lass uns da hingehen. Wir sind doch alle erwachsen, mir macht es ja auch nichts aus, dass du damals in Paris mit Bine geschlafen hast, Vergangenheit ist Vergangenheit und was vorbei ist, ist vorbei. Und João ist vorbei.
Pustekuchen.
Jetzt hier in diesem Park, bei dieser Hochzeit, die, wenn in der Vergangenheit ein paar Weichen anders gestellt worden wären, durchaus meine hätte sein können, merke ich, es ist nicht vorbei. Ich spüre ein Ziehen in meiner Brust. Fühlt sich so ein Herzinfarkt an? Oder ist das einfach der klassische Ignatia-Herzschmerz.
„Alles ok?“, flüstert Tom neben mir.
„Alles gut“, lüge ich.
„Du lügst“, sagt Tom.
Recht hat er.
Ein Freund vom João hält eine lange Rede, darüber, wie schön es ist, wenn sich zwei Menschen finden, und dass das Wunder der Liebe immer wieder faszinierend ist, und dass in der Tat eins und eins mehr als zwei ergibt, wenn sich die zwei richtigen Menschen finden und beschließen, ihre Zukunft miteinander zu gestalten. Jetzt kann ich ganz deutlich mein Herz spüren. Der Schmerz breitet sich über den ganzen Brustkorb aus. Das ist meine Eins, die dort steht und eine fremde Eins heiratet. Eine falsche rothaarige Eins statt mich. Wir – der João und ich – wir haben doch zusammen so viel mehr als zwei ergeben und waren gleichzeitig eins.
Ich sehe João, wie er nach Hause kommt und sich über mich beugt und mir einen Begrüßungskuss gibt. Er erzählt mir von den Bauarbeiten und den Kollegen, es ist aber letzten Endes völlig egal, war er erzählt, denn darum geht es garnicht, es geht um das Zusammensein. Die Anwesenheit eines anderen Menschen. Das Geräusch, wenn er mit Geschirr in der Küche klappert. Eine belanglose Frage wie, sagen wir: sag mal, Elke, weißt du, wo mein blaues Hemd ist; eine Frage, die einen aus dem Buch
Weitere Kostenlose Bücher