Knuddelmuddel
Tom recht und er ist immer nur der Ersatzmann gewesen, für ihn habe ich mich nie so aufgebretzelt. Da bin ich morgens sogar oft im Schlafanzug durch die Wohnung gelaufen. Mit dicker Wollstrickjacke über dem aus Leggings und T-Shirt bestehenden Schlafanzug und Wollsocken an den Füßen, wenn es morgens kühl war. Für den João habe ich mich auch nicht aufgebretzelt, bis auf heute. Wo es ja eigentlich zu spät ist. Nicht nur eigentlich. Es ist wirklich zu spät.
Dritter Gedanke: Wo ist eigentlich die zweite Flasche Sekt?
Da ist sie ja. Was für ein Glück, der Flasche ist nichts passiert. Ich öffne die Flasche, es gibt einen kleinen Plopp, gekonnt ist gekonnt, und proste im Liegen der Tier-Mensch-Statue aus Stein zu.
Aus ihrem Mund läuft Wasser. In meinen Mund läuft Sekt. Nicht ganz im gleichen Tempo, aber.
„Weißt du“, sage ich zu der Statue, die mich verständnisvoll ansieht, während sie weiter Wasser speit, „es ist nicht einfach, ein Mensch zu sein. Du hast es gut, du bist halb Tier, halb Mensch. Du konntest dich wohl auch nicht entscheiden, wie? Ich werde dir was über Entscheidungen erzählen.“
Ich nehme noch einen großen Schluck. Ich habe das Gefühl, dass die Statue mir zublinzelt. Eine Aufforderung. Es ist eine Aufforderung weiter zu erzählen.
„Ich hab´s nicht mehr so mit den Entscheidungen, seit die letzte so schief gegangen ist“, sage ich zu der Statue. „Ich meine, wie soll man wissen, was richtig ist? Man kann nie wissen, wohin eine Entscheidung führt. Da kommt doch eins zum anderen. Das ist doch völlig undurchschaubar. Unvorhersehbar. Das ist wie mit dieser Schaufel in Russland, die umfällt, du weißt schon. Wo in Russland? Völlig egal. Irgendwo in Russland. Moskau. Am Baikalsee. In Almaty. Ach ne, das ist ja jetzt Kasachstan, da hat der Tom letztes Jahr Fotos gemacht, Almaty im Frühling. Irgendwo eben. Von mir aus auch in Kasachstan. Oder in der Mongolei. Äh – also – wo war ich? Ach ja, die Schaufel. Die Schaufel, die umfällt. Ich werde es dir erklären. Nimm mich – nimm mich zum Beispiel. Wenn ich damals zum Beispiel nicht in dem Buchladen angefangen hätte, sondern, nein, das hätte nichts geändert, glaube ich. Aber mal angenommen, ich wäre in der neunten Klasse nicht mit Bine und Andrea, und in der zehnten Klasse nicht mit Tom, nein, warte, worauf ich hinaus will ... woraus ich hinaus will ... ich will auf irgendwas hinaus ... du hast es echt einfach, du bist halb Mensch, halb Tier, und aus Stein noch dazu. Ich wünschte, ich wäre auch aus Stein.“
Ich nehme noch einen Schluck, aber in der Flasche ist irgendwie nichts mehr drin. Sollte sie bei dem Aufprall doch ein Loch bekommen haben?
„Gefühle sind nix“, sage ich zu der Statue, „Gefühle machen nur Ärger. Sag mir irgendetwas, was an Gefühlen gut sein soll. Irgendetwas.“
Die Statue schweigt dazu. Ich wußte es – sie weiß auch keine Antwort. Ha. Dachte ich mir´s doch.
„Ich wünschte, ich hätte auch ein Herz aus Stein“, sage ich zu der Statue. „So wie du. Das wäre das Beste. Und die Seele gleich noch dazu. Alles aus Stein.“
„Das wäre aber schade“, sagt die Statue.
Donnerwetter. Ich meine, ich habe mit der Statue geredet, aber ich habe nicht wirklich gedacht, dass sie antworten würde. Ich meine, das war viel Murganhosa Reserva Bruto, und ich bin vielleicht betrunken. Aber doch nicht sooo betrunken.
„So, und nun versuchen wir mal aufzustehen“, sagt die Statue und reicht mir die Hand.
Eine Statue, die lebt und spricht. Ich sehe hoch und sehe wieder in das Gesicht des Mannes von vorhin. Der mit der Magie. Der, der zu jung für mich ist. Der, wo ich schon nach sieben Komma fünf Sekunden wußte, er ist es. Mein neuer Mr Right.
„Sie schon wieder“, sage ich so cool wie möglich, damit ich mich nicht aus Versehen oute und er was merkt.
„Ich schon wieder, und jetzt versuchen Sie mal aufzustehen.“ Er reicht mir wieder die Hand und ich versuche aufzustehen und liege sofort wieder am Boden.
„Was ist?“, fragt der Mann.
„Mein Bein“, sage ich. „Mein Knie – es gehorcht mir einfach nicht.“
„Darf ich mal …“ Er streckt die Hand nach meinem Bein aus. Er schiebt das blaue Kleid hoch.
„Sind Sie Arzt?“, frage ich. Womöglich ist mein Leben ein Arztroman und das ist mein Happy-End. Und Kuss und Schluss.
„Nein“, sagt der Mann. „Ich bin Mathematiker. Aber meine Frau ist Ärztin.“
Das ist das Aus für mein Arztroman-Happy-End. Kein Kuss. Nur
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