Knuddelmuddel
die Diele in das Wohnzimmer und sagt, nun setz dich doch erstmal und ich koche dir einen Tee und was ist denn eigentlich los und das wird schon wieder und drückt mich auf die Couch und gibt mir ein Taschentuch. Ich sitze auf Evelinas Sofa und heule in das Taschentuch, während Evelina in der Küche Wasser aufsetzt, um Tee zu kochen. Wie hat Evelina damals zu mir gesagt, als ich damals nach der Treppenhausnacht so sehnsüchtig auf den Anruf wartete? A watched kettle never boils . Ein Kessel, den man beoabachtet, kocht nie. Da habe ich so sehnsüchtig auf den Anruf gewartet. Und jetzt ist der Anruf gekommen. Und was habe ich davon? Nichts. Ein Taschentuch reicht da garnicht, ich werde eine ganze Packung brauchen. Das hier ist schon klatschnass. Ich sehe hoch, vielleicht sind hier mehr Taschentücher, oder eine Schachtel Kleenex, oder so. Da fällt mein Blick auf die Lücke an der Wand.
Man sieht noch deutlich die Spuren auf dem Parkett. Da stand Evelinas Klavier. Jetzt steht es bei mir. Bei mir ist die Lücke gefüllt, hier ist sie entstanden. Da sieht man: Wenn man ein Klavier irgendwo reinstellt, entsteht woanders eine Lücke, weil das Klavier weg ist. Immer, wenn irgendwo eine Lücke gefüllt wird, entsteht woanders eine neue. Und so ist immer irgendwo eine Lücke. Eine Art umgekehrte Reise nach Jerusalem. Da ist ein Stuhl zu wenig. Hier ist eine Lücke zu viel.
So, jetzt trinkst du erstmal diesen Tee, sagt Evelina. Und vielleicht sollten wir ein bisschen was zur Stärkung reinkippen. Sie geht zur Anrichte und wählt eine der Flaschen. Schönes Etikett. Sieht nach Süden aus. Rum. Cachaça, weißer Rum, ist eigentlich für Caipirinhas, sagt Evelina, aber warum nicht. Sie kippt mir einen ordentlichen Schluck Cachaça in den Tee, sagt, warte mal, mir ist noch was eingefallen, ich glaube, ich weiß, was hilft und geht wieder in die Küche. Ich nippe an dem Tee. Der Duft steigt in meine Nase. Die heiße Flüssigkeit tut gut. Mir wird warm. Ich wickele mich in die Decke, die auf dem Sofa liegt und seufze. Evelina kommt zurück und gibt mir ein Glas mit Wasser. Ich schüttele den Kopf. Wer will hier Wasser? Ich will kein Wasser.
„Das ist kein Wasser“, sagt Evelina, „das ist Paramolan C“.
„Paramolan C ist für Erkältungen“, sage ich. „Und ich bin nicht erkältet“.
„Paramolan C hilft bei allem“, sagt Evelina. „Das weiß ich aus Erfahrung. Glaub mir, ich habe jahrelang zwei Kinder und drei Ehemänner versorgt. Es hilft bei allem.“
„Zwei der Männer sind tot“, sage ich.
„Na, bitte“, sagt Evelina. „Es geht ja schon wieder besser.“
„So habe ich das nicht gemeint“, sage ich.
Das weiß ich, sagt Evelina, und nun erzählst du mir, was eigentlich los ist. Ich schluchze meine Claudio-Geschichte. Vermutlich nicht so wirklich verständlich, ein Teil geht einfach unter, aber Evelina kennt die Geschichte sowieso, jedenfalls mehr oder weniger, und kann sich den Rest zusammenreimen. Außerdem ist es im Grunde eine ganz einfache Geschichte. Man könnte sie, wenn man wollte, sogar in sechs Worten zusammenfassen.
„Aus. Im Grunde nie was gewesen“, sage ich.
„Was?“, fragt Evelina.
„Ich habe es verdaddelt“, schluchze ich.
„Ich bin froh, dass ich durch dich mein Deutsch praktizieren kann“, sagt Evelina. „Was heißt verdaddelt? Ist das ein deutsches Wort?“
„Es heißt“, sage ich, „es bedeutet, ich habe es vermasselt, ich habe was falsch gemacht.“
„Nein“, sagt Evelina. „Hast du nicht.“
Vielleicht hätte ich irgendwas anders machen können“, sage ich.
„Nein“, sagt Evelina.
„Vielleicht“, sage ich, „wenn ich ihn angerufen hätte, wenn ich mich mal gemeldet hätte, oder wenn ich ... jetzt zum Beispiel am Telefon ... ich hätte ihn fragen können, ob ...... also ... irgendwas ... das Gespräch in Gang halten ... ich hätte ihn was fragen können, wie der Herbst in Russland ist, zum Beispiel, und ob die Bäume in Moskau schon die Blätter verlieren und kahl sind, oder... “
„Liebe scheitert nicht daran, ob einer ein Wort zu viel oder zu wenig sagt“, sagt Evelina. „Manchmal ist es einfach so, dass der eine mehr liebt als der andere. Dass einer sich verliebt hat, und der andere eben nicht“.
Mein Schluchzen wird lauter. Evelina öffnet eine Schublade und zieht einen Stapel Stofftaschentücher raus, mit geklöppelter Spitze eingefaßt und gibt mir die Taschentücher. Eigentlich viel zu schade, um da reinzuheulen, aber ich tue es
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