Knuddelmuddel
trotzdem.
„Woher weißt du, dass er sich nicht in mich verliebt hat?“, frage ich. „Woher willst du das wissen? Das ist doch garnicht gesagt.“
„Ach Elke“, sagt Evelina.
Ich schluchze in das mit Spitze eingefasste Taschentuch. Ein Taschentuch wie zu Jane Austens Zeit. Und der Liebeskummer ist auch der gleiche. Nur meine Selbstbeherrschung ist geringer als die von Emma.
„Er konnte die anderen Tage nicht“, sage ich, „da hatte er schon Termine.“
Aber ich weiß natürlich auch, wenn er wirklich gewollt hätte, dann hätte er das irgendwie hingekriegt. Dann hätte er eins der anderen Treffen auf einen anderen Tag gelegt. Oder wäre nicht hingegangen. Hätte abgesagt. Dann hätte er alles daran gesetzt, mich wiederzusehen. Aber das hat er nicht getan. Ich bin ihm einfach nicht wichtig genug. Ich nehme das nächste Taschentuch, das mit der blauen Spitze ist vollgeheult, jetzt kommt die rosa Spitze dran.
„Ich glaube, Cachaça im Tee reicht nicht“, entscheidet Evelina. „Ich mache dir jetzt einen Caipirinha. Und eine Ladung Paramolan gibt es auch noch dazu.“
Am besten gleich beides zusammen. Am besten Nachschub nicht stoppen. Nie mehr. Vielleicht könnte ich eine Paramolan-C-Caipirinha-Mischung über Tropf bekommen. Eine Art Caipimolan-Dauerversorgung. Es gibt Caipirinha, das ist die brasilianische Originalversion, bestehend aus Cachaça, zerstoßenem Eis, braunem Zucker und Limetten. Es gibt Caipirão, das ist die portugiesische Variante, die mit Kräuterlikör statt Rum, und man läßt natürlich den Zucker weg, weil der Likör schon süß genug ist. Und es gibt Caipiroska. Das ist die Variante mit Wodka. (Ja, ich kenne mich da jetzt aus, schließlich verbringe ich meine Abende in einer Bluesbar). Aber ich brauche jetzt Caipimolan. Das ist die Elke-braucht-Trost Variante.
„Wenn der eine mehr liebt, als der andere“, sagt Evelina, „dann ist das immer furchtbar. Und manchmal sogar eine Tragödie. Habe ich dir eigentlich schon mal die Geschichte von der Familie in Brasilien erzählt? Wo ich Gouvernante war?“
„Am Ende der Goldsuche?“, frage ich. „Nein, hast du nicht. Du wolltest immer, aber es ist immer was dazwischen gekommen.“
„Dann erzähle ich sie dir jetzt“, sagt Evelina.
Sie geht in die Küche, bastelt einen Caipirinha für uns beide und mixt ein zweites Glas Paramolan C für mich. Dann setzt sie sich gemütlich zu mir auf das Sofa. Sie denkt ein bisschen nach und dreht an ihrem Armband aus echten Perlen, als ob es ein Rosenkranz oder eine griechische Gebetskette wäre und fängt an zu erzählen.
Brasilien vor sechzig Jahren, sagt Evelina. Ich weiß nicht, ob du dir vorstellen kannst, wie anders die Zeiten damals waren. Und das noch dazu in Südamerika. Da waren die Zeiten ja nochmal ganz anders. Und ich als junges Mädchen, das mittellos in Südamerika steht, weil sie ihr ganzes Vermögen in diese erfolglose Goldsuche gesteckt hat. Alles, was ich noch hatte, war die nutzlos gewordene Schatzkarte meines Onkels und gerade noch genug Geld, um vielleicht eine Woche zu überleben.
Ich wohnte in einer kleinen Pension in Rio de Janeiro, ernährte mich von Obst und Brot und überlegte, wie ich das Geld für eine Schiffspassage zusammen bekommen könnte. Aber eine Schiffspassage wohin? Wohin sollte ich fahren? Zurück nach Angola? Oder nach Europa? Arbeit in Europa suchen, vielleicht war das das Beste. Am Nebentisch saß ein Mann. Für mich wirkte er damals alt, aber er war natürlich höchstens Mitte dreißig. Gut gekleidet. Vollbart. Pfeife. Er sah wohlhabend aus. Nicht reich, aber durchaus solide wohlhabend. Der Mann hieß Norbert Bruhn. Er wurde von allen Sr Norberto genannt. Er war in Brasilien geboren, aber seine Familie kam aus Deutschland, aus einem kleinen Dorf in Niedersachsen. Sr Noberto war der Besitzer einer Farm in Santa Catarina, in der Nähe von Blumenau. Mit Mitte zwanzig hatte er geheiratet, eine deutschstämmige Frau namens Margarete. Das Paar übernahm die Farm von Sr Norbertos Eltern und bekam drei Kinder. Drei Mädchen. Alles war gut, eine Familie wie im Bilderbuch. Das Unglück kam über die Familie, als die jüngste Tochter gerade zwei Jahre alt war.
Man muss wissen, die Familie lebte ja fast nur unter sich, sie hatten kaum Kontakte nach außen. Die Farm lag etwas außerhalb von Blumenau, die Arbeit begann morgens und endete abends. Es gab die Arbeiter, die auf der Farm halfen, aber die sozialen Kontakte beschränkten sich auf den Kirchgang am
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