Knuddelmuddel
wissen müssen, dass ich nicht so für Überraschungen war. Was kann in diesem Päckchen sein? Vielleicht ist es überhaupt keine gute Idee, das Päckchen aufzumachen. Vielleicht ist es sinnvoller, es einfach wegzuwerfen. Was kann Gutes in diesem Päckchen sein? Ich habe bisher ohne den Inhalt des Päckchens gelebt. Ich könnte es weiterhin tun. Ich nehme das Päckchen und stelle es auf das Klavier. Das Päckchen ist in etwa so groß wie ein Zauberwürfel, es hat auch das gleiche Format. Es ist an mich adressiert. Es hat Joãos Absender. Es wiegt etwas zweihundertfünfzig Gramm und es hat anderthalb Jahre auf der Poststation gelegen. Wenn Essen drin ist, ist es wahrscheinlich vergammelt. Pralinen zum Beispiel wären geschmolzen und wieder hart geworden, geschmolzen und hart geworden. Womöglich sind sogar schon Maden drin.
Ich stehe vor dem Klavier und sehe auf den Zauberwürfel. Ich werde es morgen aufmachen. Ich drehe mich um, gehe zur Küche, da sehe ich, dass ein Brief auf dem Boden liegt. Ein weißer Umschlag. Es ist noch ein russische-Puppen-Brief. Es sind also zwölf Antworten. Ich mache den Brief auf.
Liebe Lissabonnerin,
mein Name ist Patricia Junger und ich bin Volontärin bei X-Production, Berlin. Wir arbeiten gerade an einem neuen Sendeformat mit dem Titel „Deutsche sucht Deutschen“, das wir im Frühjahr auf den Markt bringen wollen. Für diese Sendung suchen wie deutsche Single-Frauen, die im Ausland leben und einen deutschen Partner suchen.
In der Sendung würden wir Sie dahingehend beraten, wie Sie sich optimal präsentieren können, d.h. wir würden sie neu einkleiden und Ihr gesamtes Aussehen optimieren, vom Make-up bis zur Frisur. Selbstverständlich auf Kosten der Redaktion.
Wir würden Sie dann vorstellen. Wir würden zeigen, wie Sie leben, was Sie in Lissabon machen und Sie können den Zuschauern erzählen, was Sie wünschen und wie Ihr idealer Partner sein sollte. Aus den dann in der Redaktion eingehenden Bewerbungen würden Sie sich die drei Top-Bewerber aussuchen und wir würden Sie beim Kennenlernen begleiten. Bestimmt hat Lissabon sehr schöne Plätze, die sich hervorragend für romantische Dates eignen.
Wir würden uns freuen, wenn Sie an einer Zusammenarbeit Interesse hätten.
Mit freundlichen Grüßen,
Patricia Junger
X-Production Berlin / Germany
Tja, Patricia, nettes Angebot, und vielleicht wäre ich noch vor ein paar Monaten drauf eingegangen, aber jetzt kommt es zu spät. Ich bin nicht mehr auf der Suche. Wo ist eigentlich dieses Häkelbuch geblieben und was habe ich mit der Wolle gemacht?
XVII
„Und dann“, sagt Bruno, während er die ersten Luftmaschen der lila Wolle zu einem Ring schließt und anfängt, Stäbchen in die Luftmaschen zu häkeln, „macht er immer den Abwasch. Kaum haben wir gegessen, steht er auf, räumt ab und macht den Abwasch.“
„Und das ist schlimm?“, frage ich.
„Ja“, sagt Bruno, „ist es.“
„Aber wieso?“, frage ich. Ich kann überhaupt nicht verstehen, was daran schlimm sein soll, wenn der Partner den Haushalt macht. Ganz im Gegenteil. Das zählte für mich bisher als Pluspunkt bei einem Partner.
„Es ist mein Haushalt“, sagt Bruno. „Ricky hat die Bar. Ich habe den Haushalt.“
Bruno sieht noch mal auf die Anleitung. Er kann kein Deutsch, er orientiert sich an den Fotos und den Zeichnungen, und ist damit erfolgreicher als ich. Ich bin nämlich mit der Anleitung nicht klar gekommen. Die ist zwar theoretisch auf Deutsch oder von mir aus auch praktisch auf Deutsch, aber ich verstehe sie trotzdem nicht. Womöglich ist es bei dieser Anleitung ein Plus, wenn man die Anweisungen nicht versteht, weil die einen bloß verwirren. Es ist ein kalter Tag Ende November und ich häkel an dieser blau-lila Mütze seit Mitte Oktober, seit der Briefflut. Die Wolle ist ein bisschen wie Schiebewurst. Den Begriff Schiebewurst kenne ich noch von meinem Vater. Es ist ein Begriff aus Kriegszeiten, aus den Zeiten, als es kaum was zu essen gab und Wurst etwas ganz besonderes war. Und wenn man eine Scheibe Salami hatte, dann legte man die aufs Brot und schob sie immer weiter, mit den Lippen, während man vom Brot abbiß. Da hatte man die ganze Zeit den wunderbaren Geruch in der Nase, und mit dem letzten Bissen von der letzten Scheibe Brot aß man dann die Wurst.
Mein Häkelmützenprojekt hat etwas von dieser Schiebewurst. Ich häkel die Mütze nach Anleitung, sie wird nicht, ich mache sie wieder auf, mache aus der Wolle wieder Knäule, und
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