Knuddelmuddel
Lebensjahr, sie ist eigentlich nett, sogar sehr nett, wenn man es so recht bedenkt, finde ich, aber was hilft´s, eine Frau, die sich nicht entscheiden kann, was sie in ihrem Leben eigentlich will, oder sagen wir, die nicht bewusst entscheidet und die daher da gelandet ist, wo sie gelandet ist, so wie wir alle da landen, wo wir landen, eine Deutsche, die im Ausland lebt, weil die Liebe sie erst ins Ausland gezogen und dann dort sitzen gelassen hat, eine Verliebte, deren neues Objekt der Begierde in einem fernen Land wohnt, das so fern ist, dass sie noch nie in ihrem Leben auch nur einen Fuß auf den Boden dieses Landes gesetzt hat und wahrscheinlich auch nie setzen wird, das Objekt der Begierde somit unerreichbar, nicht nur psychisch-liebesmäßig, sondern auch regional, da ein rein zufälliges Treffen, wo man sich über den Weg läuft und er seinen Fehler einsehen kann, weil er bei meinem Anblick von Amors Pfeil getroffen wird, und zwar so richtig heftig, ausgeschlossen ist, eine Singlefrau, die das Gefühl hat, dass ihre Zeit hier auf Erden bald abgelaufen ist, und wer weiß, ob es eine Zeit woanders gibt, das weiß ja niemand, obwohl es natürlich manche behaupten, und Bine gehört jetzt auch dazu, aber wissen tut es niemand, und der ein Blick in Statisken mit Lebenserwartung vermittelt, dass das womöglich nicht nur so ein Gefühl ist, sondern die Wirklichkeit, eine Frau, die, wenn sie lange alleine in ihrer Wohnung ist, so wie jetzt, manchmal das Gefühl bekommt, es gibt sie garnicht, die Wirklichkeit, weil sich alles so irreal anfühlt, irrationaler und imaginärer als jede irrationale und imaginäre Zahl es je sein kann, ein Gefühl, das noch verstärkt wirkt, wenn sie dazu den Walzer der Amelie hört, was zum Glück nicht möglich ist, weil die Nachbarin aus dem dritten Stock die CD immer noch konfisziert hat und nicht zurückgeben kann, weil sie ja in Madrid ist:
- Päckchen von der Mama, die einen damals in die Welt gesetzt hat und auch jetzt noch Jahre später liebevoll versorgt, mit deutschen Weihnachtsplätzchen in Form von selbergebackenen Zimtsternen, Vanillekipferln und gekauften Dominosteinen. Die Dominosteine hat sie in einem Laden im Mühlenkamp gekauft, die Zimtsterne und Vanillekipferl hat sie mit der Frau Bornhöfer gebacken, mit der sie auch sonst viel Zeit verbringt, ganz besonders die Sonntagnachmittage, die ja für Singles so viel länger sind als für Leute in einer Beziehung (doch wirklich. Und wenn Einstein noch leben würde, der Experte für relative Zeit überhaupt, dann könnte er das garantiert beweisen) und so bekommt die Affäre mit Tom nachträglich noch einen Sinn, wenn sie nicht sowieso einen hatte, den ich nur noch nicht durchschaue. (Bine sagt, alles hat einen Sinn, wir durchschauen es nur nicht immer sofort, genau wie wir bei einer Fahrt mit dem Auto das Ziel im Navi eingeben und wissen, wo es hingehen soll, aber bei der Fahrt auf der unbekannten Strecke ja auch nicht erkennen, ob der Weg richtig ist und deswegen oft in Versuchung sind zu zweifeln, ob es in der Tat der richige Weg ist statt einfach auf das Navi zu vertrauen. Das ist die moderne esoterische Variante des alten Gottes Wege sind undurchschaubar ).
Außerdem im Päckchen Gemüsebrühe aus dem Reformhaus, die richtig gute, wo man nur noch Wasser draufgießt und hat eine leckere Brühe, die locker ein leichtes Abendessen ersetzt.
Und Fotos aus meiner Kinderzeit. Klein-Elke vor einem Weihnachtsbaum. Neben ihr ein Weihnachtsmann, der sich liebevoll zu ihr beugt. Klein-Elke, also ich, guckt verängstigt. Damals habe ich noch an den Weihnachtsmann geglaubt. Daran glaube ich jetzt natürlich nicht mehr. Aber ich glaube immer noch an den perfekten Mann. Und an die große Liebe. Was aber, wenn es den perfekten Mann und die große Liebe genauso wenig gibt wie den Weihnachtsmann? Und die Männer, die zunächst perfekt erscheinen, sind genauso eine Mogelpackung wie der Weihnachtsmann, der aussieht wie ein echter Weihnachtsmann, aber in Wirklichkeit der verkleidete Nachbar Müller aus dem Haus nebenan ist? (Und trifft diese Tatsache auch auf meinen scheinbar perfekten Mann Claudio zu?) (Natürlich trifft sie zu, natürlich. Es gibt keine perfekten Männer. Aber tief in mir drin wohnt immer noch Klein-Elke, die zu gerne an den Weihnachtsmann glauben möchte). Und die große Liebe – was ist mit der? Ist die auch eine Mogelpackung?
Außerdem ein Seidenschal, rot mit Muster, leicht wie eine Feder. Erinnert mich natürlich
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