Knuddelmuddel
Mittag, hier essen hauptsächlich Leute, die hier in der Baixa arbeiten, hier bin ich mit Teresa oft gewesen, als ich noch im Reisebüro gearbeitet habe. Ich erzähle Bine und Andrea von der Affäre von Teresa und dem Chef, ein bisschen Klatsch muss sein und schadet nicht. Bine erzählt von ihrem Enkelkind und Andrea und ich hören geduldig zu. Andrea erzählt von ihrer Affäre und wie weh ihr die Geschichte getan hat. Es war wunderschön. Es war kurz. Und sie hatte tagelang Nierenschmerzen, als es vorbei war. Sie hat richtig gelitten. Ich kann sie gut verstehen, denke an die Woche, als ich noch an meinen Ausflug nach Madrid in die Oper geglaubt habe und versuche, nicht an Claudio zu denken. Nicht mal den Namen lasse ich zu. Gestrichen. Aus meinem Gedächtnis. Für immer. Und Bine sagt mal wieder, wie so oft: Wer weiß, wozu es gut ist. Und so ist das mit den neuen Wegen. Sie führen einen durch Landschaften, die man nicht erwartet hat.
Wir gehen in das Fadomuseum, hören ein bisschen Musik und kaufen jede eine CD. Wir gehen in das Kachelmuseum und bewundern die Kacheln. Kaufen Postkarten. Und am späten Nachmittag sitzen wir am Ufer des Tejo auf einer Mauer und hängen so schlaff in den Seilen wie die Marionetten im Marionettenmuseum, wenn kein Spieler an ihren Fäden zieht.
„Und jetzt?“ frage ich.
„Jetzt fahren wir ein bisschen Boot“, sagt Andrea. „Ich würde gerne sehen, was drüben auf der anderen Seite ist.“
Wir fahren auf die andere Seite des Tejo, aber wir finden kein Restaurant. Die Station ist abgelegen. Jedenfalls zu abgelegen für uns. Jeder Meter ist zu weit. Wir können nicht mehr laufen. Uns tun die Füße weh. Und dann kommt doch tatsächlich das blöde Boot nicht. Eingeschränkter Betrieb wegen Streik.
„Kann ich wissen, dass die Boote heute nur eingeschränkt fahren?“, sage ich.
„Du kennst dich hier aus“, sagt Bine. „Oder etwa nicht.“
„Du hättest ja fragen können,“ sagt Andrea. „Aber nein, du traust dich ja nie zu fragen. Lieber verlaufen. Hauptsache nicht fragen.“
„Was soll das denn heißen“, sage ich.
„Das war schon in Paris so“, sagt Andrea. „Immer mußte ich fragen.“
„Jetzt holt sie wieder diese alte Paris-Reise raus“, sage ich.
„Macht sie immer“, sagt Bine. „Andrea holt immer die alten Sachen raus. Kann die Vergangenheit einfach nicht loslassen.“
„War doch so“, sagt Andrea. „Immer musste ich fragen. Und alles organisieren. Und ihr habt immer nur gemeckert, wenn was nicht lief.“
„Ist nicht gut, wenn man die Vergangenheit nicht loslassen kann“, sagt Bine.
„Und das von der Frau, die sich für ihre vergangenen Leben interessiert und deswegen sogar zur Hypnose war“, sagt Andrea
„Das ist was anderes“, sagt Bine.
„Wenn du meinst“, sagt Andrea.
„Ja, meine ich“, sagt Bine.
„Du kennst dich hier aus, du hättest fragen müssen“, sagt Andrea jetzt zu mir.
„Und wer meckert jetzt?“, sage ich. „Na? Wer?“
„Jetzt hab dich doch nicht so“, sagt Bine. „Du bist immer gleich so eingeschnappt.“
„Und du weißt immer alles besser“, sage ich.
„Dann sage ich eben nichts mehr“, sagt Bine und zieht ihr Handy aus der Handtasche. Sie fängt an auf dem Handy zu tippen. Nachrichten zu gucken oder zu smsen oder was weiß ich. Andrea steht auf und sieht aus dem Fenster. Der Warteraum ist triste. Wir sind die einzigen Wartenden, alle anderen haben offensichtlich gewusst, dass kein Boot fährt. Jetzt hängen wir hier bis Mitternacht fest. Dann soll angeblich ein Boot fahren.
Meine beiden Freundinnen. Ich habe sie so lange nicht gesehen. Erst war es, als ob wir uns erst gestern gesehen hätten. Aber jetzt fremdeln wir plötzlich, irgendwie.
Ich betrachte Bine. Sie hängt über ihrem Handy und tippt. Sie hat ein sogenanntes Seniorenhandy, da sind die Tasten größer. Ihre Haare sind grau. Und obwohl die Tasten des Handys so groß sind, benutzt sie ihre Brille. Andrea steht weiter vor dem Fenster. Sie hat eine gute Figur, immer noch. Die Haare lang, von hinten sieht sie aus wie ein junges Mädchen. Aber wenn sie sich umdreht, ist sie eine alte Frau. Na gut, sagen wir eine ältere Frau. Und ich? Wenn man sich täglich im Spiegel sieht, geht das Älterwerden Schritt für Schritt, man entdeckt den Unterschied erst, wenn man sich auf alten Fotos sieht. Und das Schlimmste: eines Tages betrachtet man ein Foto von heute und denkt, mein Gott – was war ich damals jung. Denn dann ist man noch älter. Das
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