Koch zum Frühstück (German Edition)
der Wein hinterlässt, bevor ich einen winzigen Schluck nehme. Prachtvoll entfaltet sich das Aroma auf meiner Zunge und macht einem samtigen Gefühl in meinem Mund Platz. Intensiv am Gaumen, viel Struktur, langes Finale. Ich sehe aufs Etikett. Ist ein Australier. Ich glaube, ich nehme eine Flasche davon mit nach Hause.
Mein Blick schweift in meiner Küche umher, in der immer noch geschäftiges Treiben herrscht. Aber das letzte Dessert ist raus und sie sind schon am Aufräumen. Der Geruch nach Essen übertüncht den Schweiß, Geklirr von Geschirr und das Klappern von Töpfen füllt den Raum. Feierabendgeräusche, die beinahe automatisch Müdigkeit in mir hoch kriechen lassen. Gott… was für ein beschissener Tag. Ich bin am Ende. Ich sollte nach Hause gehen.
»So in Ordnung?« Claas hält mir eine der kleinen Etageren hin, auf der ein paar Pralinen arrangiert sind. Hätte man sich echt mal mehr Mühe geben können. Aber was soll's, sind sowieso nur für diesen blöden Arsch.
»Streu' ein bisschen Rattengift drüber.«
»Okay, müsste noch was da sein«, sagt er so bierernst, dass ich beinahe lachen muss.
»Ich bring' das eben Maike.«
»Okay.«
»Und Kopf hoch. Dein Lamm wurde vom ‚Feinschmecker‘ zum Besten in ganz Norddeutschland gekürt.«
»Ja, ich weiß. Aber ‚Feinschmecker‘ ist gerade ein ganz schlechtes Stichwort…«
Ich nehme noch einen Schluck. Ist ein wirklich guter Wein. Vielleicht hätte ich was essen sollen, aber irgendwie bin ich heute nicht dazu gekommen. Konnte ja keiner wissen, dass ich wegen dieses bescheuerten Gasts nach Feierabend eine Flasche 2006er Shiraz brauche. Ich hätte wohl nicht nur was essen sondern auch besser mal dieses bescheuerte Lamm probieren sollen. Vielleicht war es ja wirklich nicht ganz auf dem Punkt…denn seit diesem beschissenen Anruf letzten Freitag stehe ich, ganz gleich, wie sehr ich versuche, mich zusammen zu reißen, wohl wirklich ein wenig neben mir. Dabei sind private Probleme nichts, was in dieser Küche etwas zu suchen hat. Das gilt dummerweise nicht nur für meine Mitarbeiter.
»Erledigt?«
»Klar«, bestätigt Claas im Vorbeigehen und macht sich daran, Alex beim Wegräumen der Gemüse-Töpfe zu helfen. »Du solltest nach Hause gehen.«
***
Ungefähr fünfzehn Minuten später stapfe ich durch den Nieselregen, schlage den Jackenkragen hoch und versuche, einen klaren Kopf zu bekommen. Aber es funktioniert nicht. Meine Gedanken kreisen um morgen und diesen beschissenen Termin beim Jugendamt.
Das letzte Mal war ich dort, da war ich ungefähr zehn und eigentlich hatte ich gehofft, mich nie mehr wieder daran erinnern zu müssen. Hat bis letzen Freitag auch hervorragend funktioniert.
»David Klein?«, hat Frau Schroth nachgefragt, als ich mich – nach der zweiten Nachricht auf meinem AB – endlich dazu aufraffen konnte, die dort hinterlassene Nummer zu wählen.
»Ja! Sie haben auf meinen Anrufbeantworter gesprochen.« Ich hatte keinen Schimmer, was sie von mir wollten. Vermutlich eine Verwechslung, denn ich komme, mangels irgendwelcher weitreichender Erfahrungen mit dem weiblichen Geschlecht, weder als Unterhaltspflichtiger in Frage, noch gehöre ich zu denjenigen Homosexuellen, die denken, sie müssten ein echtes Hetero-Leben mit Verpartnerung und einem Stall voller Adoptivkinder führen.
Ich bin schwul. Ich lebe für meinen Beruf, hab' eine schlechte Beziehung und daneben ab und an ein paar One-Night-Stands. Und das ist in Ordnung für mich. Nicht in Ordnung ist, wenn sich irgendwer über mein Essen beschwert.
»Ja, das ist richtig.«
»Ich bin nicht sicher, ob Sie wirklich mich suchen…«, hab' ich erklärt. Schließlich ist ‚Klein‘ alles andere als ein unüblicher Familienname. »Ich fürchte fast, es liegt eine Verwechslung vor. Ich war als Kind mal… aber na ja, das ist lange her…«
»Warten Sie bitte einen Moment, Herr Klein, ich ziehe mir eben die entsprechende Akte.«
»Okay.«
»Sie sind am 20. August 1981 geboren?«
»Ja.« Ich schluckte.
»Und Sie haben eine Schwester, die Pamela Klein heißt und am 23. März 1985 geboren ist?«
»Ja, das ist soweit richtig.« Ist es tatsächlich. Ich hab' eine Schwester. Auch wenn sie, genau wie der Rest meiner erbärmlichen Familie, in meinem Leben schon seit Jahren keine Rolle mehr spielt.
»Es tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Sie vorige Woche zusammen mit ihrem Lebensgefährten einen Autounfall hatte. Sie wissen das wahrscheinlich nicht,
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