Kochlowsky 2: Und dennoch war das Leben schön
den versteckten Hinauswurf. Cranz sah sie mit leuchtenden Augen an.
»Das war nicht meine Absicht …«
»Na also!« Kochlowsky ging zur Tür, aber Cranz rührte sich nicht von der Stelle.
»Wenn aber die gnädige Frau mich so lieb einlädt – wer könnte da widerstehen?« Er wandte sich zu Kochlowsky um und fing einen wütenden Blick ein. »Ich möchte Ihrer Frau keine Absage erteilen, Herr Kochlowsky …«
Es wurde ein denkwürdiges Mittagessen.
Cranz nahm sich dreimal, trank eine halbe Flasche Rotwein allein und genehmigte sich vom Nachtisch eine große Portion Mandelpudding mit Vanillesoße. Eine Verdauungszigarre lehnte er ab, aber zwei Tassen starken Kaffee verkonsumierte er auch noch.
»Köstlich!« sagte er hinterher. »Das war einfach köstlich, gnädige Frau. Ich habe noch nie so einen Hammel gegessen! So würzig, so herrlich rosa gebraten. Sie sind eine Künstlerin am Herd!« Dann sah er zu Kochlowsky hinüber, der stumm alles in sich hineingeschaufelt hatte, und fügte hinzu: »So etwas als bloße Nahrungsaufnahme anzusehen ist barbarisch.«
Es war drei Uhr nachmittags, als er sich verabschiedete, wieder mit Handkuß. Der Förster stieg in seinen Jagdwagen, schnalzte mit der Zunge und winkte Sophie im Fahren zu.
Kochlowsky stierte ihm böse nach.
»Ein angenehmer Mensch«, sagte Sophie vorsichtig.
»Ein Vielfraß! Was Rechmann wie Gold gehütet hat, wird dieser Kerl auffressen! Der verschlingt noch die ganze Försterei. Wie kann ein Mensch nur so fressen? Und ein Affe ist er außerdem! Eitel wie ein Weib!«
»Bin ich vielleicht eitel, Leo?« fragte Sophie beleidigt und ging ins Haus zurück.
»Du bist auch nicht so wie andere Weiber.«
»Wie bin ich denn?«
»Wie von einem anderen Stern gekommen.«
»Aber Kinder kriege ich wie alle anderen auch.«
»Das ist ja das Gute daran!«
Er faßte sie um die schmalen Hüften, küßte sie und empfand große Lust, sie ins Schlafzimmer zu ziehen.
Die Tage und Wochen zogen dahin im Gleichmaß der Arbeit. Es wurde ein heißer Sommer. Den Ziegeleiarbeitern am Brennofen und den Tonstechern in den Gruben lief der Schweiß in Strömen herunter, als seien ihre Poren kleine Quellen, und Kochlowsky schloß mit einem Brunnenbesitzer einen Vertrag, daß täglich ein kleiner Tankwagen mit Mineralwasser geliefert wurde.
Das fand man erstaunlich menschlich von ihm, zumal es wieder zu einem Zusammenstoß zwischen Leo und Langenbach kam, den er auch diesmal nicht gefragt hatte. Oberbuchhalter Plumps, der bemüht war, den Frieden im Büro so heil wie möglich zu erhalten, sagte es Langenbach ins Gesicht:
»Das war ein Fehler von Ihnen …«
»Was?«
»Die Diskussion um das Mineralwasser. Die Arbeiter stehen jetzt alle hinter Herrn Kochlowsky. Das ist einer von uns, sagen sie. Der hat ein Herz für Arbeiter! Man sollte das nicht unterschätzen.«
»Ich kann mir doch nicht alles von Kochlowsky gefallen lassen«, rief Langenbach empört. »Plumps, wenn wir den Kerl nicht bremsen, regiert er eines Tages als Alleinherrscher über die Ziegelei!« Er sah Plumps, den kleinen, dicken, schnufenden Buchhalter von der Seite an. »Sie mögen den Flegel?«
»Er hat mir das Leben gerettet. Und ich ahne, wer mir monatlich durch den Pfarrer einen Zuschuß schickt, auch wenn der Herr Pfarrer alles abstreitet. Ich glaube, wir alle kennen Kochlowsky nicht. Wir sehen nur seinen groben Panzer, seine Stacheln, die uns treffen – wer hat schon dahinter geblickt?«
»Sie etwa?«
»Durch einen winzigen Schlitz. Weihnachten war das – es war ein ganz anderer Leo Kochlowsky.«
»Mir genügt der eine, den ich kenne!« Leopold Langenbach kratzte sich den Nasenrücken und sah Plumps nachdenklich an. »Was könnte man den Arbeitern – außer Wasser – noch Gutes tun?«
»Vielleicht … die Arbeitszeiten ändern«, sagte Plumps vorsichtig.
»Wieso das denn?«
»Natürlich nur während der großen Hitze. Morgens um sechs anfangen, bis elf, dann eine lange Pause in den Mittagsstunden, und dann weiter von nachmittags vier bis abends acht. So machen's zum Beispiel die Italiener …«
»Wir sind hier nicht in Italien, sondern in Wurzen, Plumps!«
»Aber die Sonne ist dieselbe …«
So kam es, daß vielleicht im ganzen Deutschen Reich als erste und einzige Firma die Lübschützer Tonwerke bei Wurzen den Sommer über die ›italienische Zeit‹ einführten, wie die Arbeiter die neue Regelung nannten. Alle klatschten in die Hände, als Langenbach nach diesem Erlaß durch die Ziegelei
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