Kochlowsky 2: Und dennoch war das Leben schön
zitternd, in den Frühbeeten stehen.
Kochlowsky reichte die vor Angst brüllende Wanda durchs Fenster an Sophie zurück, ließ die Reitpeitsche durch die Luft zischen und wandte sich zunächst Jacky zu. Der Hund starrte ihn aus kleinen, dunklen Knopfaugen an, wedelte mit dem buschigen Spitzschwanz und knurrte dumpf. Die Ohren lagen flach am Kopf.
»Komm her, du Saustück!« sagte Kochlowsky hart. »Komm sofort her! Hörst du nicht? Hierher!«
Jacky rührte sich nicht. Im Garten hatte Reckhardt begonnen, die Sonnenblumen zu probieren, und im Haus, am Fenster, schrie Wanda herzzerreißend. Kochlowsky trat noch zwei Schritte nach vorne, Jacky duckte sich, sein Blick wurde unendlich traurig und demütig – und dann sauste die Peitsche auf seinen Rücken, schneidend wie ein Messer.
Lautlos nahm der Hund den Schlag hin, drückte die Schnauze zwischen die Pfoten und blieb unbeweglich liegen. Er schlägt mich, schien er zu denken, zum erstenmal in meinem Leben schlägt mich mein Herrchen. Schlägt mich wegen eines anderen Wesens, das er streichelt wie mich! Was ist das für eine Welt? Wie kann er dieses andere Wesen genauso lieben wie mich?
Der Hund blieb langgestreckt liegen, schloß die Augen und erwartete weitere Schläge. Seine kleine Welt war einsamer geworden.
»Mach das nicht wieder, Jacky«, warnte Kochlowsky eindringlich. »Reckhardt gehört jetzt genauso zu uns wie du! Wir sind eine große Familie … im nächsten Jahr kommt noch ein Kind dazu! Und außerdem hast du Reckhardt etwas voraus, was er nie wird tun können: Du darfst bei mir im Bett schlafen! Schäm dich, Reckhardt ins Bein zu beißen! Pfui! Schäm dich!«
Er wandte sich ab, ging in den Garten und zog den leicht widerspenstigen Reckhardt am Trensenriemen aus dem Frühbeet und von den Sonnenblumen weg. Dem Pferd schienen die zarten Pflanzen gut zu schmecken. Es legte die Ohren an und schnaubte.
»Halt's Maul, Lümmel!« sagte Kochlowsky milde. Bei Pferden ging seine Seele in dem Maße auf, wie sie sich bei Menschen verschloß und verhärtete. »Der kleine weiße Satan war Jacky. Du wirst dich an ihn gewöhnen. Und wenn ich euch ein paar Nächte zusammen in den Stall sperren muß …«
Der Stall … das war ein Kapitel für sich.
Als feststand, daß Kochlowsky sich seinen Traum vom eigenen Pferd erfüllen konnte, war eine Kolonne von sechs Arbeitern aus der Ziegelei angerückt und hatte an die Wand der Waschküche einen Stall angebaut. Mit gefurchter Stirn hatte Leopold Langenbach diese sechs Arbeiter zu Kochlowsky abmarschieren sehen und war dann zu Kochlowsky ins Büro gegangen.
Kochlowsky stand gerade vor seinem Stehpult und schrieb einen Brief an einen guten Kunden. Schon über die üblichen Höflichkeitsfloskeln ärgerte er sich, und dieser Ärger nahm bei Langenbachs Erscheinen noch zu.
»Wo wandern die sechs hin?« fragte Langenbach, obwohl er es längst wußte.
»Sie wollen Schmetterlinge fangen«, erwiderte Kochlowsky gereizt.
»Das ist eine dumme Antwort.«
»Genau die richtige auf eine noch dämlichere Frage.«
»Ich habe wohl ein Recht darauf, zu wissen …«
»Einen Scheißdreck haben Sie!« schrie Kochlowsky und wurde dunkelrot im Gesicht. »Aber bitte – sie bauen einen Stall!«
»Einen Stall? Wo?«
»Bei mir.«
»Wer hat sie dazu abgestellt?«
»Ich!«
»Ohne mich zu fragen?«
»Muß ich Sie auch fragen, wenn ich einen Furz lasse?«
»Sechs Arbeiter, die der Produktion der Tonwerke entzogen werden, sind kein Furz!« bellte Langenbach wütend zurück. »Ich möchte bei allem, was hier angeordnet wird, gefragt werden. Das ist wohl das mindeste! Wer ist denn hier der Erste Betriebsleiter?«
Das war die Wunde, die bei Kochlowsky nie heilte. Er legte den Federhalter in die Rille des Stehpults, strich sich mit beiden Händen über den langen Bart und starrte Langenbach aus brennenden schwarzen Augen an. Es war der Blick, den in Pleß jeder gefürchtet hatte und bei dem sich die polnischen Arbeiter bekreuzigten. Aber hier war nicht Pleß, und Langenbach war keine Sklavennatur.
»Wenn ich sechs Arbeiter zum Bau meines Stalles abordne, dann verantworte ich das auch«, sagte Kochlowsky gefährlich leise. »Ob Ihnen das gefällt oder nicht – darauf pfeife ich! Kümmern Sie sich um neue Aufträge, die sind mies genug! Und stehen Sie hier nicht rum wie Friedrich der Große – dem hätten Sie nicht mal den Pinkelpott anreichen dürfen!«
»Sie sind der größte Flegel unter Gottes Sonne!« knirschte Langenbach. »Aber
Weitere Kostenlose Bücher