Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Köhler, Manfred

Köhler, Manfred

Titel: Köhler, Manfred Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irrtümlich sesshaft
Vom Netzwerk:
hatte? Das Glück der Kinder, übrigens, konnte genauso überzeugend für eine Trennung sprechen wie dagegen, je nachdem, welchem der beiden Elternteile man zuhörte.
    Es kam der Tag, die Zweimonatsfrist war noch nicht einmal halb abgelaufen, da verkündete Andrea, sie werde auf keinen Fall zu ihrem Mann zurückgehen, Lothar Sahm müsse sich nun entscheiden. Er entschied sich ohne zu zögern und holte die Frau und ihre drei Kinder in sein Haus. Liebe hielt er für den Hintergrund seiner Entscheidung, und wohl war dieses Gefühl auch stark beteiligt. Weit mächtiger war das schlechte Gewissen: Du stehst in der Pflicht! Das hast du angerichtet, nun bade es auch aus! Da streckt jemand die Hand nach Hilfe aus, ganz grundsätzlich, also hast du zu helfen. Die ausschlaggebende Stimme schließlich drang aus noch tieferen Schichten zu ihm, sie sagte: Du bist jetzt über 30, es wird höchste Zeit. Das ist die Chance, ohne viel Aufwand und eigentlich ohne echte Verantwortung zu einer Familie zu kommen. Nimm sie wahr! – Und er nahm sie wahr.
    Kaum war der Einzug bewältigt, verschwand der Ehemann. Tausend Leute fragten nach, wo er denn sei, allen voran sein Arbeitgeber. Andrea meldete ihn als vermisst, sie musste viele peinliche Fragen beantworten, und Lothar Sahm saß daneben und fand das alles wissenswert und sogar recht fein zu beobachten, in seinem Beruf waren derlei Einblicke wertvoll, und so richtig beteiligt war er doch eigentlich nicht, er fühlte sich als Helfer in der Not – in seinem eigenen Leben, da war er überzeugt, passierte doch so etwas nicht!
    Dass er das, was geschah, nie wirklich an sich heranließ, dass er seinen bisherigen Alltag und seine schönen Gewohnheiten dagegen verteidigte und sich den nötigen Freiraum zu wahren versuchte, spürte Andrea zwar, sie deutete es aber als Unsicherheit oder gar Rücksichtnahme. Daher versuchte sie mit größtem Eifer, ihn einzubinden, ihm statt einer Geliebten nun die treusorgende Frau zu sein. Sie gab ihm Tipps, wie er sich zu kleiden hätte, um im Beruf vorwärts zu kommen, oder kaufte kurzerhand für ihn ein; eine andere Frisur, fand sie, wäre auch mal nicht schlecht. Sie versorgte ihn rührend, bekochte ihn und verbannte Tiefkühlpizzas so entschlossen aus seinem Gefrierfach, als handle es sich um etwas Giftiges. Sie widmete ihm all ihre Hausfrauenkünste und hörte nicht auf, Verführerin zu sein. Sie wollte ihm helfen aufzuholen, was er bisher an Familie versäumt hatte, sie schickte die Kinder mit ihren Hausaufgabenproblemen zu ihm, organisierte allerlei Ausflüge, lud auf eigene Faust seine Freunde ein; von den Freunden aus ihrem bisherigen Leben waren ihr kaum welche geblieben. Sie verschönerte sein Haus, das nun ja auch das ihre und das ihrer Kinder war – Lothar Sahm erkannte es bald nicht mehr als das seine wieder. Zu nichts kam er mehr, was ihm früher wichtig gewesen und eigentlich noch immer war.
    Einerseits war er doch am Ziel: Das war die Familie, die er sich sehr wohl ersehnt hatte. Andererseits rebellierte alles in ihm dagegen, dass diese Familie auf diesem Weg und so plötzlich über ihn gekommen war, dass sie ihn so völlig vereinnahmte. Er versuchte sich zu ändern, sich den neuen Verhältnissen zu öffnen und fühlte sich dabei doch immer scheußlicher. Es war ihm nicht wirklich klar, dass er bald schon eine Entscheidung traf, und es war nicht wirklich Falschheit und Willkür, aber ganz sicher war es Feigheit, dass er die offene Aussprache mied und damit begann, sich konsequent so zu benehmen, wie es geeignet war, Andrea und ihre Kinder aus seinem Haus zu vertreiben. Er blieb freundlich, vollendet höflich sogar, aber ging doch unterschwellig so lieblos mit ihnen um wie mit unwillkommenen Gästen, er entzog sich ihnen in jeder Hinsicht. Erstaunt war er und fast schon stolz auf die Raffinesse, die er dabei an den Tag legte. Er hielt das Wohnzimmer stets etwas kälter, als es ihr und den Kindern gemütlich war; er deckte den Tisch mit seinem abgewetzten Billig-Porzellan, obwohl Andrea doch so edles in den Haushalt eingebracht hatte; er kam zurück zu seinem früheren Bekleidungsstil, die Hosen und Hemden, die sie ihm gekauft hatte, verschwanden ganz hinten im Schrank; er schenkte ihr teures, aber das falsche Parfüm, er brachte ihr Blumen mit angeknickten Blütenköpfen mit, einen Strauß, der nicht billig war, aber doch nach Supermarkt aussah. Er handelte ihr in jeder Weise so gerissen zuwider, dass sie ihm nie einen Vorwurf hätte machen

Weitere Kostenlose Bücher