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Kölner Kulissen

Kölner Kulissen

Titel: Kölner Kulissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Pranschke
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im trockenen Zustand ist die Leinenbluse ein wenig durchsichtig.
    Länger als sonst hat Paula vorhin vor dem Kleiderschrank gestanden. Warum hat sie nur so gründlich überlegt, was sie zu dem Treffen mit Vincent Wallenstein anziehen soll? Schließlich will sie ihn nicht anbaggern. Aber verhüllen muss sie sich auch nicht, hat sie entschieden. Und wegen Vicos Tod etwas Schwarzes anzuziehen, kommt nicht in Frage. Die weiße Leinenbluse zur Jeans – figurbetont und leger – ist perfekt gewesen. Bis zum Cocktail-Unfall. Ihre widerspenstigen Locken hat sie mit unzähligen Spangen und Klammern hochgesteckt. Nur hinter den Ohren können sich einzelne Strähnen freikämpfen. Das betont ihren Unterkiefer und den schlanken Hals.
    Anselm nennt das ihre »Lehrerinnen-Frisur«. Zuerst hat sie ihm das übel genommen, doch Anselm hat abgewiegelt. »Viele Männer stehen darauf«, hat er gesagt. »Also, Hetero-Männer, meine ich.«
    Im Spiegel betrachtet sie die Bluse. Die ist nicht mehr zu retten. Aber ansonsten ist Paula mehr als zufrieden mit ihrem Aussehen. Und sie fragt sich, warum sie sich so viele Gedanken darüber macht.
    Die Antwort auf diese Frage wartet bereits an ihrem Tisch. Merkwürdigerweise hat während ihrer Abwesenheit niemand dort Platz genommen – niemand außer dem Journalisten. Er sitzt genau auf dem Stuhl, von dem Paula vor drei Minuten aufgestanden ist. Auch heute trägt Vincent Wallenstein einen Anzug. Nicht den dunkelbraunen von gestern, sondern einen grauen. In das feine, nur aus der Nähe erkennbare Karomuster ist ein hellgrüner Faden eingewebt. Nicht viele Männer würden sich für einen solchen Stoff entscheiden, denkt Paula. Und Wallenstein beweist damit nicht nur Geschmack. Die Wahl des Anzugs zeigt auch, dass er weiß, was ihm besonders gut steht. Denn der im Karomuster des Stoffs versteckte Faden ist von exakt demselben Grün wie seine Iris. Ob er etwa schwul ist?
    »Warten Sie schon lange?«, fragt sie, als wüsste sie es nicht besser.
    Aber Wallenstein muss ja annehmen, sie käme erst jetzt, fast eine halbe Stunde zu spät. Das kommt ihr gelegen, auf diese Weise sind die Rollen wieder so verteilt, wie sie es gewohnt ist.
    Wallenstein steht auf, lächelt sie an und will gerade antworten, als sein Blick auf den roten Fleck auf ihrer Bluse fällt.
    »Haben Sie sich verletzt?«, fragt er.
    »Nein, äh … das ist …« Warum, zum Teufel, stammelt sie?
    Er beugt sich vor und schnüffelt an ihrem Ausschnitt. »Ich tippe auf Zombie«, sagt er.
    »Wie bitte?«
    »Zombie«, wiederholt er. »Cointreau, Grenadinesirup, Maracujasaft, Ananassaft, Orangensaft, Zitronensaft … und drei Sorten Rum, brauner und weißer.«
    »Alles in einem Getränk?«
    »Soll hier der beste Cocktail sein.«
    Zwei Sekunden Pause. Dann hört Paula sich sagen: »Den sollten wir nehmen.«
    Er gibt ein Handzeichen, und noch bevor beide wieder am Tisch sitzen, steht eine Kellnerin neben ihnen und nimmt die Bestellung auf. Wallenstein bestellt Ginger-Ale, Paula bleibt bei ihrer Wahl.
    Zwanzig Minuten später ist sie betrunken. Mehr und mehr entgleitet ihr der Sinn des Gesprächs. Gleichzeitig wird ihre Unterhaltung lustiger. Wallenstein hat ein in braunes Leder gebundenes Notizbuch dabei. Hin und wieder schreibt er mit einem Füllfederhalter ein paar Wörter hinein. Paula fällt auf, wie er hinterher jedes Mal die Kappe wieder sorgfältig auf den Füller schraubt und ihn parallel zur Tischkante legt. Zweimal korrigiert er mit der Spitze des kleinen Fingers den Abstand des Stifts zur Tischkante, damit der Füller auch wirklich exakt parallel liegt. Er ist Linkshänder, fällt ihr auf. Das sollen die kreativeren Menschen sein, hat sie mal gehört.
    Er fragt sie nach ihren frühen Filmen. Nach Regisseuren, mit denen sie gedreht hat. Vico hebt er dabei nicht besonders hervor. Paula plaudert drauflos, ohne lange nachzudenken, erzählt eine Anekdote nach der anderen. Ein Rest Vernunft sagt ihr, sie solle nicht über Kollegen herziehen. Doch je länger sie zusammensitzen und je weniger Zombie sich in ihrem zweiten Glas befindet, desto schlechter gelingt es ihr, das richtig einzuschätzen.
    »Ich muss unbedingt was essen«, sagt sie irgendwann.
    Wallenstein ist offenbar Stammgast. Ohne in die Karte zu sehen, empfiehlt er Paula die Mediterrane Gemüseplatte.
    »Ein Schnitzel wäre mir lieber«, sagt sie.
    »Da kann ich leider nichts empfehlen.«
    »Haben die hier etwa keine Schitzel … ich meine: Schnitzel?« Sie kichert über ihren

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