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Kölner Kulissen

Kölner Kulissen

Titel: Kölner Kulissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Pranschke
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entworfen habe.«
    »Was heißt, er hat es behauptet? Ist das denn nicht nachprüfbar?«
    Wallenstein lacht und lehnt sich zurück. Paula bemerkt, dass das Grübchen an seinem Kinn beim Lachen auf und ab hüpft.
    »Ulmer hat so vieles behauptet«, sagt er. »Zu viel, um alles nachzuprüfen. Unter anderem will er den Dolly erfunden haben. Er sei mit Murnau auf dem Ku’damm spazieren gegangen und habe eine Frau mit einem Kinderwagen beobachtet. Dabei sei ihm die Idee zur Kamera auf Rädern und Schienen gekommen.«
    »Das kann doch tatsächlich so gewesen sein.«
    »Sicher, denkbar ist das. Nur lässt es sich nicht nachweisen. Und manche meinen, Ulmer habe zu vieles behauptet, das sich nicht nachweisen lässt. Er hat einfach zu viele Namen fallen lassen. Mit allen berühmten Regisseuren und Schauspielern will er zusammengearbeitet haben. Fest steht aber, als Robert Wiene ›Das Cabinet des Dr.   Caligari‹ drehte, war Ulmer gerade mal sechzehn Jahre alt.«
    »Sie meinen, er war ein Hochstapler?«
    »Auf seinem Briefpapier stand: Dr.   Edgar G. Ulmer . Er besaß aber überhaupt keinen Doktortitel.«
    »Klingt, als wollte er immer mehr darstellen, als er tatsächlich war«, sagt Paula. »Klarer Fall von Minderwertigkeitskomplex.«
    Eine senkrechte Falte teilt die Stirn des Journalisten. Er stützt die Ellenbogen auf den Tisch und lehnt sich vor. »Das glaube ich nicht«, sagt er. »Ich glaube, Ulmer brauchte diese Legenden nicht für sein Ego.«
    »Wofür dann?«
    »Bestimmt hatte er ganz pragmatische Gründe. Als Emigrant in den USA musste er sich ein gewisses Prestige zulegen, um Regieaufträge zu bekommen.«
    »Na also: ein Hochstapler!«
    »Zugegeben, ein Hochstapler, aber ein genialer, ein großer Künstler.«
    »Trotzdem«, wendet Paula ein, »ist er heute, wenn überhaupt, nur als König der B-Movies bekannt.«
    »Ja, Ulmer hat es nie bis nach ganz oben geschafft«, sagt Wallenstein. »In Hollywood kannte man ihn als den, der nicht viel brauchte, um einen Film zu drehen. Er war der, der es billig machte. Und deshalb hat er auch immer wieder nur Billigproduktionen bekommen.«
    »Ein Teufelskreis.«
    »Sie sagen es. Aber diese Billigproduktionen hat er wie kein Zweiter beherrscht. Wissen Sie, was sein Kollege John Landis über Ulmer sagt?«
    Paula zuckt mit den Schultern.
    »Landis meint, aus Hühner scheiße habe Ulmer Hühner salat gemacht.«
    Wieder lacht Wallenstein. Paula findet den Witz nicht annähernd so lustig wie er. Aber sie beobachtet gern sein Grübchen am Kinn, wenn er lacht. Allerdings muss sie sich eingestehen, dass ihr Interesse an Anekdoten über Edgar G. Ulmer nachlässt, während gleichzeitig ihre Müdigkeit zunimmt. Irgendwie muss sie die Kurve kriegen und sich verabschieden.
    Aber während sie Vincent Wallenstein beim Erzählen beobachtet, kann sie sich doch nicht dazu entschließen. So spät ist es schließlich noch nicht. Mittlerweile könnte sie sogar wieder etwas trinken. Von dem Zombie merkt sie nichts mehr. Ja, vielleicht sollten sie noch woanders hingehen.
    Vielleicht sogar zu ihr nach Hause?
    Wallenstein empfiehlt ihr weitere Filme von Ulmer. Durch ihre Internetrecherche kennt sie immerhin die Titel.
    »›Detour‹ müssen Sie sich ansehen«, sagt er. »Und ›Green Fields‹.«
    Sie unterbricht ihn. »Ich glaube, ich muss nach Hause. Können Sie mich ein Stück begleiten?«
    Es ist halb elf, das letzte Sonnenlicht verschwindet gerade erst aus den Straßen. Sie nehmen ein Taxi. Gemeinsam sitzen sie auf der Rückbank. In den Kurven berühren sich ihre Knie. Hin und wieder sieht der Taxifahrer in den Rückspiegel. Wenn Paula seinen Blick erwidert, lächelt er. Dabei wächst sein voller Schnurrbart in die Breite. Niemand spricht ein Wort. Dafür beginnt Paula in Gedanken ein Selbstgespräch.
    Was machst du hier?
    Ich nehme den Mann mit nach Hause.
    Bist du sicher, dass du das willst?
    Nein, ich weiß es nicht.
    Dann lass es sein.
    Manchmal bist du so beschissen vernünftig.
    In letzter Zeit vielleicht zu selten, oder?
    Danke, dass du mich daran erinnerst.
    Als das Taxi unter der Zoobrücke durchfährt, nimmt sie seine Hand.
    »Vincent«, sagt sie.
    Er sieht sie an und drückt ihre Finger.
    »Das war ein schöner Abend.«
    Das Taxi hält vor ihrer Haustür. Warum sagt er jetzt nichts? Vorher konnte er doch stundenlang reden. Sie löst ihre Hand aus seiner, um den Taxifahrer zu bezahlen. Vincent will sie daran hindern und zieht sein Portemonnaie aus der Innentasche seines

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