Kölner Kulissen
egal. Er führt eine Hand in die Innentasche seines Sakkos.
»Keine Angst, ich trage keine Waffe«, sagt er und zieht einen Briefumschlag hervor. Er reibt sich die Schläfen. Die Kopfschmerzen werden stärker. An solchen Tagen hasst er seinen Job. Aber Zoltan ist gut darin, einer der Besten. Und er hat einfach nie etwas anderes gelernt. Scheiße, er hat der Frau eine partnerschaftliche Zusammenarbeit angeboten! Aber wenn sie so starrköpfig ist, kann er es auch nicht ändern. Er wirft den Umschlag auf den niedrigen Ikea-Tisch zwischen ihnen.
»Was ist das?«, fragt sie.
»Glauben Sie mir, ich hätte Ihnen das gern erspart.« Er lehnt sich zurück und verschränkt die Hände hinterm Kopf.
Sie wartet und beobachtet ihn. Aber auch er kann warten. Er weiß, ihre Neugier wird siegen. So ist es jedes Mal. Auch heute dauert es nicht lange. Sie beugt sich vor, nimmt den Umschlag vom Tisch und zieht die Fotografien heraus.
Zoltan blickt zur Seite. Er will nicht sehen, was jetzt mit der Frau passiert. Er schaut zu einer Kommode hinüber. Auch dort stehen Fotografien. Die Menschen darauf kann er nicht erkennen, doch wahrscheinlich ist ihr Vater unter ihnen.
»Sie Schwein«, hört er sie sagen.
Darauf erwidert er nichts. In diesem Moment sind Worte nichts wert.
»Das ist nicht wahr«, sagt sie.
Er sieht sie an – eine Vorsichtsmaßnahme. Manchmal greifen ihn Leute in einer solchen Situation an. Aggression ist ihr letztes Mittel, mit dem Unfassbaren umzugehen. Unbewusst haben sie sich dann bereits eingestanden, dass wahr ist, was nicht wahr sein darf, was sie nicht wahrhaben wollen.
»Das ist er nicht«, sagt sie. Ihre Stimme zittert, aber noch verliert sie nicht die Fassung.
Was soll er machen? Er hat nicht den ganzen Tag Zeit.
»So leid es mir tut«, sagt er, »muss ich Ihnen doch versichern, dass der Herr auf den Fotos Ihr Vater ist. Ich versichere Ihnen auch, dass er nicht der einzige Mann ist, der solche … Vergnügungen schätzt. Also verurteilen Sie ihn bitte nicht. Wobei …« Er unterbricht seine Rede für zwei Sekunden. Diese Technik der dramatischen Pause hat er sich von Filmschauspielern abgeguckt. »Wobei ich allerdings befürchte, dass eine Menge Leute – Kollegen, Nachbarn, Verwandte – genau das tun würden, wenn sie diese Fotos zu sehen bekämen: ihn verurteilen, ihn … verabscheuen.« Wieder die dramatische Pause, dann: »Hat Ihr Vater das verdient?«
Sie antwortet nicht. Sie lässt die Fotos auf den Tisch fallen und zittert vor Zorn. Das hat Zoltan selten erlebt. Manche fangen an zu weinen, manche gehen auf ihn los, aber sich so zu beherrschen wie Hanna Sydow – das schaffen nur wenige. Zoltan bewundert sie dafür. Er wirft einen Blick auf das obere Foto. Ohne Brille erkennt er nur die Umrisse der abgebildeten Menschen. Aber vorhin im Auto hat er die Aufnahmen gründlich studiert. Das Gesicht von Kriminaloberrat Gerd Suttner ist auf allen Bildern gut zu erkennen. Darauf haben Dragans Fotografen selbstverständlich geachtet. Die beiden Frauen tragen Tiermasken, sowohl die mit der Reitpeitsche als auch die mit dem umgeschnallten Lederpenis. Vor Letzterer kniet Hanna Sydows Vater. Im Hintergrund steht ein stämmiger Mann. Seine Gesichtszüge liegen im Schatten der Kapuze seines Henkerkostüms.
»Ich versichere Ihnen, Frau Sydow, im Kreis Ihrer Kollegen ist Ihr Vater nicht der Einzige, von dem wir solche oder ähnliche Fotos besitzen. Die meisten wissen nichts davon. Und warum sollten wir es ihnen erzählen? Solange keine – nennen wir es mal besondere Umstände –, solange solche besonderen Umstände also nicht eintreten, muss ja auch niemand davon erfahren, oder?«
Sie setzt sich und schaut auf den Fußboden. Als sie den Kopf wieder hebt und ihm ins Geicht sieht, ist ihr Blick hart und kalt. Sie hat sich schon wieder unter Kontrolle. Zoltan begreift, dass er sich vor ihr in Acht nehmen muss.
»Was verlangen Sie?«, fragt sie.
»Habe ich Ihnen doch längst gesagt: Informationen.«
Sie holt Luft. »Wir haben Ihr Koks bei Cramer nicht gefunden. Ein paar Spuren auf dem Badezimmerregal. Aber nirgends eine größere Menge.« Jedes Wort spricht sie in der gleichen Tonlage, vollkommen ausdruckslos. »Und er war drauf, als er starb. Das haben die Untersuchungen eindeutig ergeben.«
»Wundert mich nicht. Er war selbst sein bester Kunde.« Mit beiden Händen streicht sich Zoltan das Haar zurück. »Also gut, Sie haben unseren Stoff nicht. Wissen Sie, wer zuletzt bei Cramer war?«
Sie
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