Kölner Kulissen
Versprecher. Vom Nebentisch schaut eine Frau herüber und verdreht die Augen.
»Doch, haben sie«, sagt Wallenstein, »aber ich kann dazu nichts sagen. Ich esse kein Fleisch.«
»Oje … Vegetarier?«
Er nickt lächelnd und trinkt einen Schluck von seinem Ginger-Ale.
»Mein bester Freund sagt, Vegetarier sind keine richtigen Männer.« Sie kann kaum glauben, dass sie das gerade gesagt hat. Aber irgendwie findet sie es lustig. Und Vincent Wallenstein lächelt noch immer, kein bisschen beleidigt.
»Dann ist Ihr Freund wohl ein richtiger Mann ?«
»Er ist schwul.«
Wallenstein stellt sein Glas ab. »Da kann ich tatsächlich nicht mithalten«, sagt er.
»Könnte man aber fast annehmen.«
»Dass ich schwul bin?«
Paula saugt die letzten Tropfen Zombie durch ihren Strohhalm. Sie saugt sehr lange. Und laut. Schließlich muss sie kichern. Wieder schaut die Frau vom Nebentisch herüber.
»Entschuldigung«, sagt Paula und greift nach der Speisekarte, ohne Wallensteins letzte Frage zu beantworten. Aus der Nummer kommt sie ja doch nicht wieder raus.
Das Schnitzel schmeckt vorzüglich. Und es hilft, weil es den Alkohol aufsaugt. Erst jetzt wird Paula bewusst, dass sie heute kaum etwas gegessen hat. Als sie den letzten Tropfen Rahmsoße mit einem Stück Weißbrot vom Teller wischt, fühlt sie ihre Urteilskraft zurückkehren. Leider geht das einher mit einigen Einsichten. Allen voran die, dass Wallenstein kaum mehr ein Wort gesprochen hat, seitdem sie ihm ein schwules Aussehen bescheinigt hat. Kauend beobachtet sie, wie er sich mit einer Serviette den Mund abtupft. Auf seinem Teller liegen noch ein paar gegrillte Auberginen- und Zucchinischeiben. Sie muss an die bescheuerten Gemüse-Improvisationen neulich beim Casting denken. Auf die Idee, sich auf diese Weise bei Wallenstein zu entschuldigen, kommt sie aber nicht. Schließlich räuspert sie sich und versichert ihm, dass sie ihn nicht beleidigen wollte.
Er winkt ab. »Meinten Sie nicht, Ihr bester Freund sei schwul?«
Sie nickt.
»Warum sollte ich dann beleidigt sein? Und außerdem … Wenn ich zwei Zombies getrunken hätte, würde ich wahrscheinlich noch ganz andere Sachen sagen.«
»Ich trinke sonst eigentlich gar nicht.« Kaum dass sie es gesagt hat, ärgert sie sich darüber. Warum rechtfertigt sie sich? Hat sie nach der Sache mit Vico etwa keinen guten Grund, sich zu betäuben?
»Ist nicht schön, die Kontrolle zu verlieren, oder?«, sagt er.
»Ach, manchmal …«
»Ich kann’s nicht leiden«, sagt er. Und als Paula die Stirn runzelt, fügt er rasch hinzu: »Bei mir selbst, meine ich.«
Dann beginnt er wieder, sie über Filme zu befragen und sich Notizen zu machen. Er sei ein großer Bewunderer von »Sonnenwende«, Paulas und Vicos erstem Film. Seine Beschreibungen mancher Szenen sind detaillierter als Paulas Erinnerungen daran. Welche Filme sie beeinflusst haben, will er wissen. Nachdem sie eine Weile über Fassbinder, Herzog und Wenders gefachsimpelt haben, fällt Paula Edgar G. Ulmer ein.
»Vor Kurzem habe ich diese alte Edgar-Allan-Poe-Adaption gesehen, ›The Black Cat‹«, sagt sie. Sie sei überwältigt von dem meisterhaften Umgang mit Licht und Schatten gewesen.
»Welche Verfilmung meinen Sie?«, fragt Wallenstein.
»Die von Edgar G. Ulmer.«
Wallensteins grüne Augen beginnen zu leuchten. »Dass Sie Ulmer kennen! Der ist doch fast vergessen!«
»Völlig zu Unrecht«, meint Paula. »›The Black Cat‹ finde ich genauso stark wie ›Das Cabinet des Dr. Caligari‹.«
Es kommt ihr selbst merkwürdig vor, wie unbefangen sie über Ulmer sprechen kann. Aber im Moment denkt sie vor allem an den längst verstorbenen Regisseur und seine großartige Leistung bei diesem Horrorklassiker. Die Gedanken an ihren Erpresser befinden sich in einer weiter entfernten Region ihres Bewusstseins.
Wallenstein erzählt, Ulmer selbst habe seinen Film mit ›Caligari‹ verglichen. »Er sagte, er habe mit ›The Black Cat‹ in Amerika etwas weiterführen wollen, das sie mit ›Caligari‹ in Deutschland begonnen hätten.«
»Bescheiden war er ja nicht gerade«, sagt Paula. »Klingt ja, als wäre er beim Dreh von ›Caligari‹ dabei gewesen.«
»Ulmer arbeitete bei vielen großen Filmen der zwanziger Jahre als Szenenbildner, bevor er selbst Regie führen durfte«, erklärt Wallenstein. »Zum Beispiel bei Fritz Langs ›Metropolis‹ und bei Murnaus ›Der letzte Mann‹. Wenigstens hat er das immer behauptet. Wie auch, dass er das Set zu ›Caligari‹
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