Kölner Kulissen
A4-Format heraus. Die Ecken sind ausgefranst. Offensichtlich werden die Seiten nur noch durch zwei gekreuzte Gummibänder und unzählige Streifen Klebeband zusammengehalten.
»Sind Sie sicher, dass das nicht eines Ihrer Kochbücher ist?«, fragt er.
Sie entfernt die Gummibänder, legt die Kladde auf den Küchentisch und öffnet sie. Die winzigen Buchstaben zu lesen ist für Zoltan ohne Brille unmöglich. Aber er erinnert sich an Cramers Miniaturhandschrift. Er seufzt vor Befriedigung darüber, diesen unerwarteten Schatz in seinen Besitz zu bringen. Gleichzeitig ist er nicht besonders scharf darauf, Cramers Gekritzel zu entziffern. Slobo wird ihm dabei helfen müssen.
»Okay, machen Sie die Gummis wieder drum.«
Sie gehorcht. Doch offenbar kann sie Zoltan das Adressbuch nicht geben. Er versteht das, nimmt es selbst vom Tisch und klemmt es sich unter den linken Arm.
»Sie sollten sich einfach keine Arbeit mit nach Hause nehmen«, sagt er. »Übersteigerter Ehrgeiz hat schon manchem das Genick gebrochen. Sie haben doch einen Mann und einen Sohn. Mit denen sollten Sie Ihre Freizeit verbringen.«
Hanna Sydow geht einen Schritt auf Zoltan zu. Dabei scheint sie zu wachsen. Instinktiv weicht er zurück und hebt die Waffe ein paar Zentimeter höher.
»Jetzt verschwinden Sie doch endlich!«, sagt sie mit lauter, fester Stimme. »Und nehmen Sie die verdammten Fotos mit!«
NEUN
Vincent Wallenstein hat das Café in der Aachener Straße vorgeschlagen. Eigentlich hat Paula keine Lust gehabt, sich ausgerechnet im Belgischen Viertel mit ihm zu treffen. Noch dazu am Samstagabend. Hier sind einfach zu viele Menschen unterwegs. Während der vergangenen vierundzwanzig Stunden hat sie ihre Wohnung nicht verlassen. Hinter heruntergelassenen Jalousien hat sie im Bett gelegen, trotz der Sommerhitze in eine Decke gehüllt. Seit Ulmers zweiter E-Mail fühlt sie sich beobachtet. Sogar in ihrer eigenen Wohnung glaubt sie fremde Blicke zu spüren. Blicke, die an ihr kleben wie der Schweiß auf ihrer Haut.
Am Spätnachmittag hat endlich ihre Vernunft den beginnenden Verfolgungswahn besiegt. Sie hat den Journalisten angerufen und ein Treffen vorgeschlagen. Es ist ihr wie eine Flucht nach vorn vorgekommen. Allein in ihrer Wohnung wäre sie irgendwann durchgedreht. Lieber hätte sie sich mit Anselm verabredet. Doch Anselm geht noch immer nicht ans Telefon. Ihre E-Mail hat er auch nicht beantwortet.
In ihrem Zustand ist Paula nicht in der Lage gewesen, einen anderen Treffpunkt vorzuschlagen. Jetzt wartet sie schon seit einer Viertelstunde auf Wallenstein. Seit wann dürfen Männer es sich erlauben, zu spät zu erscheinen? Paula hält das noch immer für ein weibliches Privileg, da ist sie altmodisch. Mit viel Glück hat sie einen Zweiertisch ergattert. Es ist eng im Café, nicht nur an der Theke, auch zwischen den Tischen stehen Leute, aufgestylt für den Samstagabend. Die Cocktails in ihren Händen enthalten mehr Obst, Strohhalme und glitzernden Firlefanz als Flüssigkeit. Offensichtlich ist gerade Happy Hour. Paula ist nach einem doppelten Espresso mit Schuss zumute. Aber keine der Kellnerinnen reagiert auf ihr Zeichen. An ihrem Tisch sitzend ist sie zwischen all den stehenden Gästen kaum zu sehen.
Jemand drängelt seinen Hintern an ihrer Schulter vorbei. Dabei rempelt er einen anderen Gast an, und etwas Kaltes klatscht auf Paulas Brust. Sie schaut auf ihre weiße Leinenbluse und flucht: ein blutroter Fleck, klebrig und aufdringlich süß riechend. Sie sieht sich um. Niemand scheint sich verantwortlich zu fühlen. Nicht ein einziger der anderen Gäste sieht sie überhaupt an.
Sie steht auf. Unter Einsatz ihrer Ellenbogen drängelt sie sich durch die Menge in Richtung Treppe. Die Toiletten sind im Keller. Die rabiate Art, mit der sie sich ihren Weg bahnt, scheint niemanden zu stören. Bemerkt man Paula überhaupt? Während sie die Treppe hinuntersteigt, versucht sie, sich über das Desinteresse der anderen zu freuen. Schließlich hat es den Verfolgungswahn gänzlich vertrieben. Seit sie dieses Café betreten hat, fühlt sie sich endlich nicht mehr beobachtet.
Im Vorraum der Damentoilette atmet sie tief ein. Es riecht nach Desinfektionsmittel. Sie reißt ein paar Papierhandtücher aus dem Spender und befeuchtet sie unterm Wasserhahn. Doch damit lässt sich der Cocktailfleck nicht aus der Bluse reiben, das Zeug ist hartnäckig. Anstatt es zu entfernen, verteilt Paula es nur. Außerdem darf sie nicht allzu großflächig reiben, denn schon
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