König 01 - Königsmörder
die nur halb geschlossenen Esszimmervorhänge, dass die Sonne bereits hoch am Himmel stand.
Von tiefem Bedauern erfüllt, beobachtete sie ihn, wie er reserviert und ganz und gar mit sich selbst beschäftigt weiterarbeitete. Der Mann, den sie in Dorana gekannt hatte, war verschwunden. An seiner Stelle hatte sie diesen Fremden mit den grüblerischen Augen und dem grimmigen Mund vor sich, der keinen Gefallen an ihrer Gesellschaft fand. Im Licht des Vormittags wirkte die Kluft zwischen ihnen ebenso unüberbrückbar wie in der letzten Nacht in Veiras Küche.
Bevor sie eingeschlafen war, hatte sie im Geiste wieder und wieder die Abfolge von Ereignissen durchgespielt, die sie zu dieser Zeit an diesen Ort geführt hatten. Die Entscheidungen, die sie getroffen hatte, die Dinge, die sie zu Gunsten von Stillschweigen und List geopfert hatte.
Sosehr sie sich bemühte, sie hatte sich nicht vorstellen können, eine Alternative gehabt zu haben. Und ob das bedeutete, dass sie als Jervales Erbin Recht gehabt hatte und von der Prophezeiung geleitet worden war, oder ob sie nicht mehr gewesen war als ein halsstarriges Frauenzimmer, hatte sie nicht sagen können. In dem lastenden Schweigen schrumpfte der Holzstapel immer weiter, während Matt die Axt schwang, das wettergegerbte Gesicht ernst vor Konzentration. Der nützliche Stapel Feuerholz wurde größer und breiter, und Matt sprach immer noch nicht, ebenso wenig, wie sie es tat. Ihr Herz und ihr Kopf schmerzten; sie war sich nicht sicher, ob sie jemals im Leben solchen Kummer gehabt oder sich so hilflos gefühlt hatte.
Weil es so wehtat, diesen verschlossenen und neuerdings unbekannten Mann zu betrachten, besah sie sich stattdessen ihre Umgebung. Hinter dem Haus war ein ordentlicher Garten angelegt worden. In einem Gemüsebeet wuchsen sicherlich im Sommer Karotten und Tomaten und dergleichen mehr. Doch zu dieser Jahres– zeit war kaum noch etwas zu erkennen. Drei dürre Apfelbäume. Ein überraschend üppiger Kräutergarten und ein wildes Durcheinander von spätherbstlichen Blumen. Zwischen dem Haus und den Beeten lag eine von Kleeblättern überwucherte Wiese.
Veiras Pony graste auf einer kleinen Koppel, die auf der linken Seite an einen baufälligen Stall grenzte und auf der rechten an einen leicht stinkenden Schweinepferch. Daneben befand sich der Hühnerstall, dessen fröhlich rote Farbe verblasst war und abblätterte. Es war alles sehr… ländlich.
Abgesehen von dem Krachen von Matts Axt, den scharfen Rufen verborgener Vögel und dem Gegacker, mit dem Veiras Hennen antworteten, war die Stille im Wald absolut. Beunruhigend nach dem stetigen summenden Gewirr der Stadt. Aber es lag auch eine Art Friede darin, der Balsam für ihre wunde Seele war. An jedem anderen Morgen hätte sie die Abgeschiedenheit dieses Ortes genossen und dieses Zwischenspiel als einen Ferientag betrachtet, den sie voller Leidenschaft willkommen hieß.
Aber all ihre Leidenschaft war erstorben. Sie hatte sie mit Arroganz und Stolz getötet, ebenso wie mit der Weigerung, in Betracht zu ziehen, dass sie sich irren könnte. Dass Matt Recht haben könnte. Dass sie nicht unfehlbar war, nur weil sie Jervales Erbin war.
Sie hätte ihm das gern gesagt. Hätte gern gesagt, dass es ihr leidtat, und ihn um Verzeihung gebeten. Aber seine verschlossene Miene ließ das nicht zu. Machte sie noch wortkarger, als sie es sonst war, und ungerechterweise wütend. Also saß sie nur stumm da und beobachtete ihn beim Holzhacken.
Schließlich war kein Holz mehr übrig. Matt schlug die Axt mit einem einzigen mächtigen Schwung in den Hackblock und sagte schwitzend: »Es könnte sein, dass du doch Recht hattest.«
Einen Moment lang konnte sie ihn nur mit verblüfftem Schweigen ansehen. Dann fand sie ihre kärgliche Stimme wieder und fragte unsicher: »Wie meinst du das?«
Er untersuchte seine Hände auf Blasen, entdeckte eine und stach sie stirnrunzelnd auf. »Ich meine, dass du Asher nicht die Wahrheit gesagt hast.«
Asher.
Vor ihrem inneren Auge stiegen Bilder aus der Sehschale auf. Ihr Herz krampfte sich zusammen, und ihr Mund war plötzlich trocken. »Wieso?« »Was man ihm angetan hat… die Art, wie dieser Jarralt ihn gefoltert hat…« Sie stieß das Blutvergießen und das quälende Echo von Schreien beiseite. »Was ist damit? Wie kann das bedeuten, dass ich Recht hatte?«
Matt wandte den Blick ab und schaute zu den dicht nebeneinander wachsenden Bäumen hinüber. »Die Frage ist doch die: Was kann ein Mensch wissen
Weitere Kostenlose Bücher