König 01 - Königsmörder
dass es jetzt regnen würde. Jetzt…
War dieser Punkt nun gekommen? Waren die ersten harten Regentropfen endlich gefallen? Hatte der Unschuldige Magier endlich seine Unschuld verloren?
»Matt!«, erklang eine leise, atemlose Stimme aus der Dunkelheit. »Matt! Hast du es gespürt?«
Dathne. Es war, als hätte er sie mit seinen fragenden Gedanken heraufbeschworen.
Er eilte auf sie zu, wobei ihm bewusst war, wie deutlich Stimmen sich in der kühlen Nachtluft verbreiteten. »Was machst du hier?«, flüsterte er, während er sie vom Stallhof in die dahinterliegenden Gärten schob. »Bist du wahnsinnig?« Sie war außer Atem, als sei sie den ganzen Weg von ihrer Wohnung bis zu seinen Ställen gerannt. Selbst im schwachen Schein des Mondes konnte er das wilde Leuchten ihrer Augen sehen.
»Hast du es gespürt?«, wiederholte sie und bohrte die Fingernägel in seinen Arm. »Wie explodierendes Feuerwerk! Hundertmal stärker als an dem Tag, an dem ich seine Ankunft gespürt habe! Weißt du, was das bedeutet? Ashers Macht ist erwacht!«
Aha. Die Letzten Tage waren endlich angebrochen. »Dann ist es Zeit, ihm die Wahrheit zu sagen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Nein?«
Er packte sie. Ihre Schultern fühlten sich so zerbrechlich an in seinen Händen. »Denk nach, Dathne! Wir sind vielleicht nicht die Einzigen, die sein Erwachen gespürt haben. Wenn die Doranen von ihm erfahren, werden sie ihn binnen einer Stunde töten und allen erzählen, er sei im Schlaf gestorben. Dann werden sie sich uns Übrige vornehmen. Wir
müssen
es ihm sagen! Heute Nacht. Er muss es ebenfalls gespürt haben, ihm muss klar sein, dass sich etwas in ihm verändert hat. Wir müssen es ihm erklären, bevor er aus Furcht oder Unwissenheit eine Dummheit begeht. Was ist, wenn er sich offenbart, bevor wir bereit sind?«
Stirnrunzelnd hob sie eine Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen. Matts Herz hämmerte: Er kannte diesen Blick. Sie suchte nach etwas in ihrem Innern, lauschte auf jene leise Stimme, die nur sie hören konnte. Die zu Jervales Erbin sprach und zu niemandem sonst. Dies waren die Zeiten, da sie zu einer Fremden wurde. Ihr Haar, das sie für die Nacht bereits gelöst hatte, wogte wie eine sanfte Wolke um ihr scharf geschnittenes Gesicht. Ließ sie noch jünger aussehen, als sie es war.
»Nein. Wir haben noch Zeit«, sagte sie endlich und richtete sich auf. Er hätte sie am liebsten geschüttelt, bis ihr die Zähne aus dem Mund fielen. »Bitte, Dathne,
bitte.
Lass dir ein einziges Mal im Leben raten. Er ist der
Unschuldige Magier.
Die einzige Hoffnung dieses Königreichs. Wir dürfen ihn nicht gefährden, wir dürfen ihn nicht länger unwissend lassen…« »Ich bin Jervales Erbin!«, zischte sie wie eine Katze. »Ich kann tun, was immer ich für richtig halte!« Sie deutete auf die Mauer, ihre stumme, goldene Zeugin. »Sieht das verdammte Ding für dich unsicher aus? Sieht es so aus, als zittere es am Abgrund der Zerstörung? Nein. Was bedeutet, dass die Prophezeiung noch nicht vollendet ist. Ich habe immer noch Zeit.« »Zeit, um
was
zu tun?«
Sie wandte den Blick ab. »Um Asher davon zu überzeugen, dass er mir seine verborgensten Geheimnisse anvertrauen kann. Dass er mir
dies
anvertrauen kann.«
Er beschloss, ein Risiko einzugehen. »Du weißt, dass er noch immer in dich verliebt ist.«
Sie war keine dumme Frau. Sie hörte die stumme Kritik. Die unausgesprochene Anschuldigung. Ihre Kiefermuskeln spannten sich an, und sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Natürlich. Warum, glaubst du, würde er mir sonst erzählen, was ich wissen muss?«
Hundert Worte, tausend Proteste lagen ihm auf den Lippen. Er unterdrückte sie. Ging ein weiteres Risiko ein und legte die Hand abermals sanft auf ihre Schulter. »Sei vorsichtig, Dathne. Du hältst dich für ach so klug – und in gewisser Weise bist du es auch –, aber er ist nicht der Einzige, der verliebt ist.«
Damit hatte er sie erschreckt. Sie öffnete den Mund, schloss ihn wieder, öffnete ihn abermals. Ihre klugen Augen trübten sich vor Überraschung, und all die leidenschaftliche Farbe wich aus ihrem Gesicht. »Meine Gefühle gehen dich nichts an, Matt. Ich bin Jervales Erbin. Ich weiß, was ich tue. Und außerdem habe ich keine Gefühle.«
Geschlagen wie immer, schob er die Hände in seine Taschen. »Wenn du es sagst.«
»Ich sage es. Und ich sage noch etwas: Stell nie wieder mein Urteil infrage.« »In Ordnung. Wenn es das ist, was du willst.«
Ihre Augen waren kalt.
Weitere Kostenlose Bücher