König 01 - Königsmörder
»Ja. Das ist es.«
Er dachte, dass sie sich selbst gut genug kannte, um diese Worte als Lüge zu durchschauen. Und dass sie ihn ebenfalls gut genug kannte, um zu wissen, dass er diese Worte ebenfalls als Lüge durchschaute. Und dass sie ihn ebenfalls gut genug kannte, um zu wissen, dass er nicht die Absicht hatte, den Mund zu halten, wenn er glaubte, sprechen zu müssen. Hier ging es darum, das Gesicht zu wahren, Schmerz zu lindern. Sie hatte gedacht, dass sie ihre Liebe verborgen hatte, und war wütend zu entdecken, dass sie sich geirrt hatte.
»Schön. Dann gehe ich wieder ins Bett«, erwiderte er. »Wenn du damit einverstanden bist.«
»Mehr als einverstanden«, fuhr sie auf. »Wenn etwas geschieht, werde ich es dich wissen lassen. Wahrscheinlich.«
»Ja, Dathne«, sagte er und wandte sich zum Gehen. »Mach das.«
Die Erinnerung an ihr bleiches, zorniges Gesicht jagte ihn in den Schlaf. Unruhe und Angst sorgten dafür, dass es kein friedlicher Schlaf wurde.
Gar ging in der Dunkelheit und ohne die Hilfe von Glimmfeuer zurück zum Turm. Er fürchtete sich zu sehr vor dem, was geschehen könnte, sollte er eine Beschwörung versuchen. Seine Brust fühlte sich so an, als würde sie von eisernen Bändern zusammengedrückt. Seine Handflächen waren verschwitzt, seine Augen heiß und trocken.
Asher hat es regnen lassen. Asher hat es schneien lassen. Asher hat einen Fluss zufrieren lassen. Und ich konnte es nicht.
Ein ersticktes Geräusch stieg in seiner Kehle auf. Ein Schluchzen oder ein ähnlicher Ausdruck von Kummer. Das Atmen bereitete ihm plötzlich Schmerzen, als hätte die Luft sich in Messer verwandelt.
Er hatte es sich angewöhnt, seine noch unbestattete Familie des Nachts zu besuchen, sobald die Öffentlichkeit weit fort von der Gruft war. Doch heute Nacht konnte er ihnen nicht gegenübertreten. Nicht nach einem so katastrophalen Scheitern. Fane würde ihn verhöhnen und ihm Schimpfnamen an den Kopf werfen, und sein Vater… sein Vater…
Er blickte zu Barls ehrfurchtgebietender Mauer hinüber, die in der Ferne heiter und friedlich schimmerte. Das Emblem seines heiligen Eids. Das Opfer seiner Unzulänglichkeit.
»Holde Dame, gesegnete Barl«, flüsterte er, während er sich unter dem gleichgültigen Himmel auf die Knie sinken ließ. »Sag mir, inwiefern ich dich im Stich gelassen habe. Zeig mir, wie ich mein Verhalten wiedergutmachen kann. Von frühester Kindheit an war es mein einziges Begehren, dir zu dienen. Warum hast du mir Magie geschenkt, wenn nicht deshalb, weil du mich zu deiner Stimme in Lur machen wolltest? Warum nimmst du mir das Geschenk jetzt wieder? Ist mein Dienst dir jetzt zuwider? Bin ich gestrauchelt, oder hast du es getan?«
Holze würde sagen, dass er mit dieser Frage Ketzerei beging, und vielleicht war es so. Dann sollte es so sein. Er wollte –
brauchte
– trotzdem eine Antwort. Es kam jedoch keine.
Dann also eine andere Frage. »Woher kommt Ashers Magie? Von dir? Oder war sie immer in ihm? Ist sie in allen Olken? Wenn ja, was bedeutet das? Und was soll ich deswegen unternehmen? Wenn Conroyd Jarralt es jemals erfährt, ist Asher ein toter Mann, und vielleicht wird sein ganzes Volk mit ihm in den Untergang getrieben. Ist es das, was du willst? Willst du den Tod der Olken? Willst du
Ashers
Tod?«
Immer noch keine Antwort. Eine jähe Welle von Furcht und Zorn trieb ihn dazu, sich aufzurichten. »Nun, ich werde es nicht zulassen! Ich werde nicht zulassen, dass du ihn tötest!«, schrie er Barls letztem Vermächtnis zu, ihrer Mauer, die unversöhnlich und gleichgültig das Königreich umgab. »Ich trotze deinem Ersten Gesetz! Ich trotze
dir!
Ganz gleich, wie ich es geworden bin, ich bin Lurs König, und ich werde tun, was ich tun muss, um das Land vor Schaden zu bewahren. Um die Olken vor Schaden zu bewahren. Um sie vor dir zu bewahren, wenn es sein muss. Hörst du mich, Barl? Ich würde sie sogar vor
dir
schützen!« Er kehrte in den Turm zurück. Zog sich aus und fiel ins Bett, um von wilden Träumen von Flut und Feuer und weinenden Frauen geplagt zu werden. Als er Stunden später erschöpft erwachte, war es bereits hell, und mit dem Tag kam ein schreckliches Wissen.
Er war wieder leer. Seine Magie war fort.
Willer hatte bereits fast drei Stunden lang hart gearbeitet, als seine Beute sich endlich herabließ, in die Amtsstuben zu kommen. Seine Beute… Seit seiner Übereinkunft mit Lord Jarralt war dies der Ausdruck, mit dem er Asher in Gedanken bezeichnete. Und sich selbst
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