König 02 - Königsmacher
ihr saß - ein Ehemann oder Bruder, jedenfalls zu jung, um ihr Pa zu sein -, griff nach ihrer Hand, drückte sie und ließ sie dann los. Asher lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, legte die Füße auf das Geländer vor der Abschirmung der Galerie und machte sich auf eine gute Unterhaltung gefasst. Die Geschichte hatte begonnen, als Frau Raite Nachricht von der tödlichen Krankheit ihres Onkels Vorlye erhalten hatte. Er hatte im Sterben gelegen, und kein Kraut und kein Heiltrank im ganzen Königreich hatte ihn retten können. Würde sie die arme Seele in ihren letzten Tagen pflegen können? Cousin Brenin war ein vielbeschäftigter Mann und hatte keine Ehefrau, die die Last mit ihm teilen konnte. Natürlich bedeutete das jeden Tag eine dreistündige Reise, aber der Onkel gehörte schließlich zur Familie, nicht wahr? Eine gute Frau, die Barls Gesetze achtete, würde eine kleine Unbequemlichkeit gewiss um eines Sterbenden willen ignorieren.
Was denn mit dem Hospiz in Salstedt gewesen sei, das nur eine halbe Stunde von Tolton in der Marsch entfernt liege?, wollte der Prinz wissen. Es sei eine rühmliche Einrichtung; er habe gerade erst letzten Sommer an ihrer Weihe durch Ihre Majestät und den königlichen Barlsmann Holze teilgenommen. Die Barlsbrüder dort hatten sich ganz der Aufgabe verschrieben, die Kranken und Sterbenden zu pflegen. Onkel Vorlye wäre gut versorgt gewesen, und Frau Raite wäre viel Mühsal erspart geblieben. Meister Brenin?
Meister Brenin plusterte sich auf und wies darauf hin, dass die Barlsbrüder, zweifellos heilige Männer bis hin zum jüngsten Novizen, eben doch nicht dasselbe seien wie die Familie eines Mannes, Eure Hoheit.
Ganz zu schweigen davon, dass ein Familienmitglied nicht um eine Spende von fünfzehn Trin die Woche für den Unterhalt und die Pflege eines Sterbenden einkäme, lautete die trockene Erwiderung des Prinzen. Asher kicherte beifällig; er wusste es zu schätzen, wenn ein Mann Sinn für Humor hatte.
Als Nächstes geriet Frau Raite eine Spur außer sich. Es schien, dass der liebe Onkel Vorlye, der bis zu seinem letzten Atemzug bei klarem Verstand gewesen war, ihre liebevolle Pflege so rührend gefunden hatte, dass er es für passend erachtet hatte, ihr in seinem Testament eine Kleinigkeit zu hinterlassen. »Eine
Kleinigkeit?«,
fauchte ihr Cousin. »Die verfluchte Frau hat seine Sinne verwirrt, Eure Hoheit! Sie hat ihn mit einer List dazu gebracht, ihr die Hälfte seines Vermögens zu vermachen! Eine freche Schurkerei und Boshaftigkeit war das, Herr, und der Bezirksrichter war derselben Meinung! Er hat das infame Testament im Handumdrehen außer Kraft gesetzt und dem elenden Frauenzimmer eine entsprechende Geldbuße auferlegt. Sie ist nur durch ein Wunder einer härteren Strafe entronnen!«
»Immer mit der Ruhe, Meister Brenin«, sagte der Prinz kühl. »Du wirst auch noch an die Reihe kommen.« Er wandte sich zu Frau Raite um. »Hast du einen guten Grund für deine Weigerung, Barls Richtspruch in dieser Angelegenheit zu akzeptieren?«
Frau Raite reckte das Kinn vor. »Ja, Eure Hoheit. Ich bin unschuldig. Das Vermächtnis belief sich auf zweihundert Trin und nicht auf über die Hälfte seines Vermögens, und ich habe nie auch nur einen Kuick davon verlangt.«
»Und doch hat der Bezirksrichter die Ansprüche deines Cousins bekräftigt.«
»Ja, das hat er, Eure Hoheit«, pflichtete sie ihm bei. »Und das hat gewiss nichts damit zu tun, dass der Bezirksrichter und mein Cousin im Winter regelmäßig jede Woche zusammen auf die Jagd gehen, an den helleren Monaten Fangball miteinander spielen oder drei von sechs Abenden wetteifern, wer als Erster den Grund eines Weinfasses sehen wird, nicht wahr?«
Asher ließ die Füße auf den Boden sinken und beugte sich beeindruckt vor. Frau Raite mochte verurteilt sein und in Senfgelb gewandet, aber sie besaß einiges an Überzeugungskraft. Er konnte keinen Funken Arglist in ihr entdecken. Lediglich aufrichtige Bekümmerung.
Während er auf das verschlossene Gesicht des Prinzen hinabschaute, versuchte er, sich auszumalen, was der Sohn des Königs wohl denken mochte. War er von Raites trauriger Geschichte überzeugt, oder nicht? Es ließ sich unmöglich sagen; alle Gedanken und Gefühle waren fest verschlossen hinter der Maske des Rechtgebers.
Der Prinz schwieg lange Sekunden, dann sah er Meister Brenin an. »Sagt Frau Raite die Wahrheit? Du bist mit diesem Bezirksrichter befreundet?« Meister Brenin machte ein hochmütiges Gesicht.
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